Das Unsterblichkeitsprogramm
zusammen, als die Worte aus ihrem Mund kamen. Ich hatte das Gefühl, als hätte sie einen Eimer voller Meerwasser über mir ausgegossen.
»Oh.«
»Ja, es war nicht allzu viel Material.« Ortega wandte sich ab, die Arme um die Schultern des Kimono geschlungen, und ging an mir vorbei zum Nebenraum, den ich noch nicht inspiziert hatte. »Sie sind dort im Augenblick der einzige Gast. Also betreffen die Aufzeichnungen nur Sie. Und Ihre Besucher.«
Ich folgte ihr in einen zweiten Raum mit Teppichen, in dem zwei Stufen zu einer winzigen Kombüse hinter einem Raumteiler aus Holz hinunterführten. An den Wänden standen ähnlich konservierte Möbelstücke wie im ersten Raum, nur dass die Plastikfolie hier von einem quadratmetergroßen Videoschirm nebst Empfangs- und Abspielmodul abgezogen worden war. Ein Stuhl mit senkrechter Rückenlehne stand vor dem Bildschirm, der ein Standbild zeigte, auf dem unverkennbar Elias Rykers Gesicht zu sehen war, das zur Hälfte von Miriam Bancrofts gespreizten Schenkeln verdeckt wurde.
»Auf dem Stuhl liegt eine Fernbedienung«, sagte Ortega. »Schauen Sie es sich ruhig an, während ich Ihnen einen Kaffee mache. Um Ihr Gedächtnis aufzufrischen. Dann können Sie mir ein paar Erklärungen geben.«
Sie verschwand in der Kombüse, ohne mir die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. Ich näherte mich dem Videoschirm und hatte das Gefühl, dass sich etwas Flüssiges in meinen Eingeweiden bewegte, als das Bild Erinnerungen an die Oberfläche schwemmte, die mit Merge Neun getränkt waren. Im schlaflosen, chaotischen Trubel der letzten anderthalb Tage hatte ich Miriam Bancroft völlig vergessen, und nun kehrte sie in ganzer Pracht zurück, genauso überwältigend und berauschend wie in jener Nacht. Ich hatte auch Rodrigo Bautistas Bemerkung vergessen, dass sie kurz vor dem Abschluss des juristischen Gerangels mit den Anwälten des Hendrix standen.
Mein Fuß stieß gegen etwas, und ich schaute auf den Teppich. Neben dem Stuhl stand ein Kaffeebecher auf dem Fußboden, der noch zu einem Drittel voll war. Ich fragte mich, wie viel von den Aufzeichnungen des Hotels sich Ortega angesehen hatte. Ich betrachtete das Standbild. War sie nur bis zu dieser Stelle gekommen? Was hatte sie sonst noch gesehen? Wie sollte ich also darauf reagieren? Ich nahm die Fernbedienung und hielt sie nachdenklich in der Hand. Ortegas Kooperation war bis jetzt ein wesentlicher Bestandteil meiner Planung gewesen. Wenn ich sie nun verlor, würde ich in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.
Aber da war noch etwas anderes, das an mir nagte. Eine emotionale Aufwallung, die ich nicht wahrhaben wollte, weil es eine klinische Absurdität gewesen wäre. Ein Gefühl, das trotz meiner Besorgnis wegen späterer Faktoren im Hotelspeicher innigst mit dem Bild verbunden war, das der Schirm zeigte.
Verlegenheit. Scham.
Absurd. Ich schüttelte den Kopf. Völliger Blödsinn!
»Sie sehen es sich ja gar nicht an.«
Ich drehte mich um und sah Ortega, die in beiden Händen jeweils eine dampfende Tasse hielt. Ein Aromagemisch aus Kaffee und Rum wehte mir entgegen.
»Danke.« Ich nahm eine Tasse entgegen und nippte daran, während ich auf Zeit spielte. Sie wich einen Schritt zurück und verschränkte die Arme.
»Also. Ungefähr fünfzig Gründe, warum sie nicht zum Täterprofil passt.« Sie reckte das Kinn in Richtung Videoschirm. »Wie viele sind das da?«
»Ortega, es hat nichts damit zu tun, dass…«
»Sie fanden auch, dass Miriam Bancroft etwas Unheimliches hat.« Sie schüttelte kritisch den Kopf und trank aus ihrer Tasse. »Ich weiß nicht recht, was ich auf Ihrem Gesicht sehe, scheint etwas anderes als Furcht zu sein.«
»Ortega…«
»›Ich möchte, dass Sie aufhören‹, sagt sie. In genau diesen Worten. Spulen Sie die Aufzeichnung zurück, wenn Sie sich nicht…«
Ich entzog ihr die Fernbedienung, nach der sie greifen wollte. »Ich erinnere mich sehr gut.«
»Dann müssten Sie auch noch wissen, welchen netten kleinen Deal sie Ihnen angeboten hat, wenn Sie den Fall abschließen, die multiple…«
»Ortega, wissen Sie noch, dass auch Sie mich zum Aufgeben überreden wollten? Ein klarer Fall von Selbstmord, haben Sie gesagt. Und das bedeutet nicht zwangsläufig, dass Sie ihn erschossen haben, oder?«
»Lassen Sie das.« Ortega umkreiste mich, als würden wir Messer und keine Kaffeetassen in den Händen halten. »Sie haben sie gedeckt. Die ganze Zeit haben Sie Ihre dreckige Nase zwischen Ihren Beinen gehabt, wie ein stinkender
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