Das Unsterblichkeitsprogramm
Limousine und zum Strand zurück. Hinter mir fiel die Tür mit einem Knall ins Schloss. Ich kramte in meinen Taschen und fand Ortegas zerdrückte Zigarettenschachtel. Ich lief am Wagen vorbei zum eisernen Geländer und zündete mir eine an. Ausnahmsweise hatte ich nicht das Gefühl, abtrünnig zu werden, während der Rauch durch meine Lungen zog. Die Brandung lief weit den Strand herauf, wie eine synchrone Reihe von tanzenden Geistern. Ich beugte mich über das Geländer und hörte dem Rauschen der brechenden Wellen zu. Gleichzeitig fragte ich mich, wie ich mich so entspannt fühlen konnte, obwohl noch so vieles ungeklärt war. Ortega war nicht zurückgekommen. Kadmin war immer noch irgendwo da draußen. Sarah wurde immer noch als Geisel gehalten, Kawahara hatte mich in der Hand, und ich hatte immer noch keine Ahnung, warum Bancroft getötet worden war.
Trotz allem fand ich die Zeit für diesen Moment der Ruhe.
Man nimmt, was im Angebot ist, und damit muss man sich manchmal begnügen.
Mein Blick wanderte über die Brecher hinaus. Der Ozean dahinter war schwarz und geheimnisvoll, und kurz hinter der Uferlinie verschmolz er nahtlos mit der Nacht. Selbst das massive Wrack der Hüter des Freihandels war kaum zu erkennen. Ich stellte mir vor, wie Mary Lou Hinchley in die Tiefe stürzte und an der Wasseroberfläche zerschmettert wurde, wie ihre Leiche von den Wogen umfasst wurde und auf die Raubtiere des Meeres wartete. Wie lange war sie da draußen gewesen, bevor die Strömungen das, was noch von ihr übrig war, zu ihren Artgenossen zurückgetrieben hatte? Wie lange war sie im Bann der Finsternis gewesen?
Meine Gedanken sprangen ziellos umher, in die vage Empfindung der Behaglichkeit gebettet. Ich sah Bancrofts antikes Teleskop, das auf das Firmament und die winzigen Lichtpunkte gerichtet war, die die ersten zögernden Schritte der Menschheit über die Grenzen des Sonnensystems hinaus markierten. Zerbrechliche Archen, die mit den gespeicherten Bewusstseinen einer Million Pioniere und tiefgefrorenen Embryonenbanken unterwegs waren, auf dass sie eines Tages auf fernen Welten resleevt werden konnten, falls die Versprechungen der nur ansatzweise verstandenen marsianischen Astrogationskarten Früchte trugen. Falls nicht, würden sie auf ewig dahintreiben, weil das Universum hauptsächlich aus Nacht und finsterem Meer bestand.
Verwundert über meine philosophischen Anwandlungen löste ich mich vom Geländer und blickte zum holografischen Gesicht über mir auf. Anchana Salomao gehörte die Nacht. Ihr geisterhaftes Antlitz blickte in regelmäßigen Abständen auf die Promenade herab, mitfühlend, aber distanziert. Als ich diese beherrschten Züge sah, konnte ich verstehen, warum sich Elizabeth Elliott so sehr danach gesehnt hatte, in diese Höhen aufzusteigen. Ich hätte selber einiges für eine solche Distanziertheit gegeben. Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit den Fenstern über Elliotts Laden zu. Das Licht brannte, und ich konnte erkennen, wie sich an einem eine nackte weibliche Silhouette vorbeibewegte. Ich seufzte, warf den Stummel meiner Zigarette in die Gosse und suchte Zuflucht in der Limousine. Sollte Anchana Wache halten. Ich rief wahllos die Kanäle des Unterhaltungsprogramms ab und ließ mich von der geistlosen Flut aus Bildern und Tönen in eine Art Halbschlaf wiegen. Die Nacht umhüllte das Fahrzeug wie kalter Nebel, und ich hatte die undeutliche Empfindung, von den Lichtern des Hauses fortzutreiben, hinaus aufs Meer, ohne Anker. Nichts war zwischen mir und dem Horizont, an dem ein Sturm aufzog…
Ein plötzliches Klopfen am Fenster direkt neben meinem Kopf riss mich aus dem Schlaf. Ich schreckte aus meiner zusammengesackten Haltung hoch und sah Trepp, die geduldig draußen stand. Sie gab mir mit einer Geste zu verstehen, das Fenster runterzufahren, dann beugte sie sich mit einem Grinsen herein.
»Kawahara hat Sie völlig richtig eingeschätzt. Sie schlafen im Wagen, damit sich diese Dipperin durchvögeln lassen kann. Sie scheinen nicht richtig verstanden zu haben, worin der Beruf eines Pfarrers besteht, Kovacs.«
»Halten Sie die Klappe«, sagte ich gereizt. »Wie spät ist es?«
»Ungefähr fünf.« Sie verdrehte die Augen und ließ mich einen Moment allein, um ihren Chip zu konsultieren. »Fünf Uhr sechzehn. Bald wird es hell.«
Ich brachte mich in eine etwas aufrechtere Position und spürte den Nachgeschmack der Zigarette auf der Zunge. »Was machen Sie hier?«
»Ich halte Ihnen den Rücken frei.
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