Das unvollendete Bildnis
ich in einer Kommodenschublade in Wollstrümpfe eingewickelt ein Parfümfläschchen, auf dessen Etikett ‹Jasmin› stand. Es war leer und wies nur Fingerabdrücke von Mrs Crale auf. Bei der Analyse wurde festgestellt, dass es, schwache Spuren von Jasmin und eine starke Lösung von Koniin-Hydrobromid enthielt.
Ich zeigte Mrs Crale das Fläschchen und wies darauf hin, dass sie keine sie selbst belastenden Aussagen zu machen brauche. Sie erwiderte jedoch bereitwillig, sie habe sich sehr unglücklich gefühlt und sei nach Mr Meredith Blakes Beschreibung des Saftes im Laboratorium zurückgeblieben, habe ein Fläschchen mit Jasminparfüm, das sie in ihrer Tasche trug, ausgeschüttet und es mit der Koniin-Lösung gefüllt. Als ich sie fragte, wozu sie das getan habe, antwortete sie: ‹Ich möchte über gewisse Dinge nicht reden, aber ich hatte einen großen Schock erlitten, denn mein Mann hatte mir erklärt, er würde mich wegen einer anderen Frau verlassen. Wenn das tatsächlich der Fall gewesen wäre, hätte ich nicht länger leben wollen. Darum habe ich das Koniin genommen.›»
«Das klingt doch plausibel», warf Poirot ein.
«Mag sein, Monsieur Poirot. Aber es passt nicht zu dem, was sie vorher zu Miss Greer gesagt hatte. Und am nächsten Morgen hatte sie wieder eine Szene mit ihrem Mann. Mr Philip hörte einen Teil der Auseinandersetzung und Miss Greer einen anderen. Die beiden befanden sich in der Bibliothek, Mr Blake war in der Halle, und Miss Greer saß im Garten in der Nähe des offenen Bibliotheksfensters.»
«Und was haben sie gehört?»
«Mr Blake hörte Mrs Crale sagen: ‹Du mit deinen Weibern. Am liebsten würde ich dich umbringen, und eines Tages werde ich es auch tun.»›
«Also nichts von Selbstmord?»
«Keine Spur. Kein Wort wie: ‹Wenn du das tust, bringe ich mich um.› Miss Greers Aussage war ähnlich; sie habe Mr Crale sagen hören: ‹Sei doch vernünftig, Caroline. Ich habe dich gern und wünsche dir immer alles Gute, dir und dem Kind, aber ich werde Elsa heiraten. Wir hatten doch vereinbart, dass wir einander im Falle eines Falles freigeben.› Darauf habe Mrs Crale erwidert: ‹Gut, aber sage nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.› Er fragte: ‹Was soll das heißen?› Sie antwortete: ‹Das soll heißen, dass ich dich liebe und dich nicht aufgeben werde. Eher bringe ich dich um, als dass ich dich diesem Mädchen überlasse.›»
«Ich finde es sehr unklug von Miss Greer, dass sie diese Auseinandersetzung heraufbeschwor», murmelte Poirot. «Mrs Crale brauchte doch nur die Scheidung zu verweigern.»
«Im Hinblick auf diesen Punkt haben wir auch einige Feststellungen gemacht», entgegnete Hale. «Mrs Crale vertraute sich Mr Meredith Blake an. Er, ein alter, zuverlässiger Freund von beiden, war sehr betrübt und machte Mr Crale Vorhaltungen. Das war am vorhergehenden Nachmittag. Unter anderem sagte er ihm, es sei nicht nur traurig, dass die Ehe zwischen ihm und Caroline in die Brüche ginge, sondern es sei doch auch für ein junges Mädchen wie Miss Greer höchst peinlich, in einen Scheidungsprozess verwickelt zu werden. Worauf Mr Crale grinsend erwiderte: ‹Das hat Elsa auch nicht im Sinn. Sie braucht nicht vor Gericht zu erscheinen; wir werden das in der üblichen Weise regeln.›»
«Dann war es also umso unverständlicher von Miss Greer, diesen Streit vom Zaun zu brechen.»
«Ach, Sie wissen doch, wie Frauen sind! Sie müssen sich immer in die Haare geraten, jedenfalls war es eine höchst peinliche Situation, und ich kann nicht begreifen, dass Mr Crale es dazu hat kommen lassen. Laut Mr Meredith Blake wollte er unter allen Umständen sein Bild fertig malen. Verstehen Sie das?»
«O ja, lieber Freund.»
«Ich nicht. Der Mann liebte anscheinend Schwierigkeiten.»
Poirot schüttelte den Kopf.
«Sie müssen sich vorstellen, lieber Freund, dass in dem Moment für Crale nur sein Bild existierte. So sehr er auch das Mädchen zu heiraten wünschte, das Bild war ihm doch wichtiger. Darum hoffte er, dass es während der Zeit ihres Besuchs nicht zu einem offenen Krach kommen würde. Für das Mädchen war es natürlich etwas anderes, für Frauen ist die Liebe das wichtigste.»
«Das kann man wohl sagen», bestätigte Hale.
«Männer – und besonders Künstler – sind anders.»
«Kunst!», schnaubte Hale verächtlich. «Dieses ganze Gerede von Kunst! Ich habe es nie verstanden und werde es nie verstehen. Sie hätten das Bild sehen sollen, das Crale gemalt hat. Alles war
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