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Das unvollendete Bildnis

Das unvollendete Bildnis

Titel: Das unvollendete Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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der beiden über ihre Zukunft, die einem anderen Menschen so viel Leid verursachen würde, schockierte mich, und doch konnte ich es Elsa nicht übel nehmen. Sie war so jung, so zuversichtlich, so verliebt. Und sie wusste gar nicht, was sie tat, sie wusste noch nicht, was Leid bedeutet. Sie nahm einfach mit der naiven Zuversicht eines Kindes an, dass es Caroline bald wieder gut gehen würde, dass sie «bald darüber hinwegkäme». Sie sah nichts außer sich und Amyas. Sie hatte mir ja gesagt, dass meine Ansichten altmodisch seien; sie kannte keine Zweifel, keine Gewissensbisse und auch kein Mitleid. Aber kann man von strahlender Jugend Mitleid erwarten? Das ist eine Gefühlsregung, die alten, weisen Menschen vorbehalten bleibt.
    Sie sprachen nicht sehr viel; kein Maler liebt es, bei der Arbeit viel zu reden. Vielleicht alle zehn Minuten sagte Elsa etwas, und Amyas knurrte eine Antwort. Das war das letzte Mal, dass ich Elsa so strahlend und zufrieden sah – auf dem Höhepunkt ihres Glücks.
    Dann läutete es zum Mittagessen, und ich ging hinunter zur Schanze. Elsa kam gerade zur Pforte heraus. Das Licht blendete mich so, dass ich kaum richtig sehen konnte. Amyas lag auf der Bank, Arme und Beine von sich gestreckt, und starrte das Bild an. Ich hatte ihn schon oft in dieser Stellung gesehen und konnte daher nicht ahnen, dass das Gift bereits begonnen hatte zu wirken.
    Elsa sagte, er komme nicht zum Essen, was ich insgeheim für sehr richtig hielt. Als ich auf Wiedersehen sagte, blickte er auf und sah mich merkwürdig an; mir kam sein Blick beinahe bösartig vor. Da er, wenn ihm die Arbeit nicht gut von der Hand ging, oft wütend dreinblickte, fiel es mir jedoch nicht weiter auf. Weder Elsa noch ich bemerkten etwas Ungewöhnliches an ihm.
    Plaudernd gingen wir zusammen zum Haus. Wenn sie gewusst hätte, die Arme, dass sie ihn nie wieder lebend sehen würde… Gott sei Dank, wusste sie es nicht und konnte sich noch für eine kleine Weile in ihrem Glück sonnen.
    Caroline merkte man beim Mittagessen nichts an, höchstens dass sie vielleicht etwas besorgt aussah. Und das ist doch ein Beweis dafür, dass sie nichts damit zu tun hatte, nicht wahr? So schauspielern konnte sie nicht.
    Nach dem Essen ging sie mit der Gouvernante nach unten und fand ihn. Als ich ihnen kurz darauf nachging, kam mir Miss Williams entgegengeeilt und sagte, ich solle sofort den Arzt anrufen. Dann lief sie zurück zu Caroline.
    Das arme Kind – ich meine Elsa! Ihr unbeherrschter Kummer war wirklich der eines Kindes. Sie wollte es nicht glauben, dass das Leben ihr so etwas antun konnte. Caroline war völlig ruhig, jawohl, völlig ruhig. Sie konnte sich natürlich besser beherrschen als Elsa. Sie schien keine Gewissensbisse zu empfinden; sie sagte nur, er müsse es selbst getan haben. Und wir wollten ihr das nicht glauben; Elsa schrie ihr sogar ins Gesicht, dass sie es getan hätte. Natürlich war Caroline unterdessen bewusst geworden, dass man sie verdächtigen würde. Und das ist die Erklärung für ihr Verhalten.
    Philip war fest davon überzeugt, dass sie es getan hatte.
    Das Ganze wurde zu einem Alpdruck. Die Polizei kam, nahm eine Hausdurchsuchung vor und verhörte uns alle; dann wimmelte es von Reportern, die wie Schmeißfliegen um das Haus schwirrten, alles fotografierten und jedes Familienmitglied interviewen wollten.
    Nach all diesen Jahren hat der Fall Crale noch immer nicht aufgehört, ein Albdruck für mich zu sein. Ich bete zu Gott, dass wir, wenn Sie erst einmal die kleine Carla überzeugt haben, alles vergessen können und nie wieder daran erinnert werden.
    Amyas muss Selbstmord begangen haben, so unwahrscheinlich es auch aussehen mag.

3
    Bericht von Lady Dittisham
     
    N achstehend gebe ich einen Bericht über meine Bekanntschaft mit Amyas Crale und seinen tragischen Tod.
    Ich lernte ihn auf einem Atelierfest kennen. Ich erinnere mich, dass er am Fenster stand und mir sofort auffiel, als ich das Atelier betrat. Auf meine Frage, wer er sei, antwortete man mir:
    «Crale, der Maler.»
    Ich ließ ihn mir vorstellen, und wir sprachen vielleicht zehn Minuten miteinander. Ich kann nur sagen, dass mir, nachdem ich ihn gesehen hatte, die andern Gäste uninteressant und fad vorkamen.
    Ich sah mir gleich am nächsten Tag alle Bilder von ihm an, die ich ausfindig machen konnte. Er hatte gerade eine Ausstellung in der Bond Street, eines seiner Bilder hing in Manchester, eines in Leeds und eines in einer Galerie in London. Ich sah sie alle. Als ich

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