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Das unvollendete Bildnis

Das unvollendete Bildnis

Titel: Das unvollendete Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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kann sagen, dass wir die nächsten Wochen sehr glücklich waren. Doch Glück ist nicht das richtige Wort dafür; es war etwas Tieferes, etwas Erschreckendes.
    Wir waren füreinander geschaffen, wir hatten einander gefunden. Wir wussten beide, dass wir immer zusammenbleiben würden.
    Doch etwas anderes geschah; das unvollendete Bild begann Amyas zu verfolgen.
    «Verdammt noch mal, vorher habe ich dich nicht malen können, du bist mir direkt im Weg gestanden. Aber jetzt will ich dich malen, Elsa – ich muss dich so malen, dass es mein bestes Bild wird! Es juckt mich, ich will meine Pinsel packen, will dich auf der alten Mauer sitzen sehen, im Hintergrund das übliche blaue Meer, die dekorativen englischen Bäume, und du, du sitzt da wie der verkörperte, triumphierende Missklang. So muss ich dich malen! Aber bevor das Bild fertig ist, will ich keinen Krach haben. Wenn es fertig ist, werde ich Caroline die Wahrheit sagen, und wir werden alles in Ordnung bringen.»
    «Wird Caroline dir Schwierigkeiten machen wegen der Scheidung?», fragte ich.
    Er antwortete, er glaube es nicht, aber man könne ja bei Weibern nie wissen. Ich sagte, es würde mir leidtun, wenn sie sich aufregen würde, aber schließlich passierten solche Dinge eben.
    «Es ist sehr nett und vernünftig von dir, das zu sagen, Elsa. Aber Caroline ist nicht vernünftig, sie war es nie und wird es in diesem Falle bestimmt nicht sein. Sie liebt mich nämlich.»
    Ich verstehe das, sagte ich, aber wenn sie ihn liebe, müsse doch für sie sein Glück zuerst kommen, und jedenfalls würde sie doch nicht versuchen, ihn zu halten, wenn er frei sein wolle.
    Er erwiderte:
    «Solche Probleme kann man nicht ‹literarisch› lösen. Das Leben ist nicht zahm, es ist wild!»
    «Aber wir sind doch zivilisierte Menschen heutzutage!»
    Lachend meinte er:
    «Zivilisierte Menschen! Caroline würde wahrscheinlich am liebsten mit dem Beil auf dich losgehen. Sie bringt so etwas fertig. Bist du dir nicht klar darüber, Elsa, dass sie leiden wird… leiden! Und weißt du überhaupt, was Leiden bedeutet?»
    «Dann sag es ihr nicht.»
    «Ich muss es ihr sagen. Du musst mir richtig gehören, Elsa, vor aller Welt, ganz offen.»
    «Aber wenn sie nicht in die Scheidung einwilligt.»
    «Davor habe ich keine Angst.»
    «Wovor denn sonst?»
    Langsam antwortete er:
    «Ich weiß nicht…»
    Er wusste es, er kannte Caroline. Ich kannte sie nicht. Wenn ich nur die leiseste Ahnung gehabt hätte…
    Wir fuhren also gemeinsam zurück nach Alderbury. Diesmal war alles schwieriger. Caroline war misstrauisch geworden. Mir gefiel der Zustand gar nicht. Ich habe von jeher Heimlichtuerei und Lügen gehasst. Ich fand, man müsse es ihr sagen, aber Amyas wollte nichts davon wissen.
    Das Komische ist, dass es ihm im Grunde genommen egal war. Obwohl er Caroline sehr gern hatte und ihr nicht wehtun wollte, war ihm Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit völlig gleich. Er malte wie besessen, und alles andere kümmerte ihn nicht. Ich hatte ihn bisher noch nie richtig arbeiten gesehen, und mir wurde zum ersten Mal klar, was für ein Genie er war. Seine Kunst riss ihn so mit, dass für ihn die üblichen Anstandsregeln gar nicht existierten. Aber für mich war es etwas anderes; ich war in einer scheußlichen Lage. Caroline war böse auf mich, und mit Recht. Man konnte die Situation nur klären, indem man ihr offen und ehrlich die Wahrheit sagte.
    Doch Amyas wiederholte nur, er wolle nicht belästigt werden, bevor das Bild fertig sei. Ich meinte, es würde wahrscheinlich gar keine Szene geben; dazu habe doch Caroline zu viel Stolz und Würde.
    «Ich will ehrlich sein», sagte ich. «Wir müssen ehrlich sein.»
    «Zur Hölle mit deiner Ehrlichkeit. Ich male ein Bild, verdammt noch mal.»
    Ich konnte seinen Standpunkt verstehen, er aber nicht meinen.
    Und schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Caroline hatte von einer Reise gesprochen, die sie gemeinsam mit Amyas im Herbst machen wollte, und plötzlich fand ich es abscheulich, dass wir sie in dem Glauben ließen. Vielleicht war ich auch wütend, weil Caroline in einer so gerissenen Weise unfreundlich zu mir war, dass ich nichts dagegen tun konnte. Und so platzte ich mit der Wahrheit heraus. Ich glaube noch heute, dass ich an sich richtig gehandelt habe, obwohl ich natürlich nicht die leiseste Ahnung hatte, was ich damit anrichtete.
    Der Krach kam gleich danach. Amyas war wütend auf mich, aber er musste Caroline gegenüber zugeben, dass ich die Wahrheit gesagt

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