Das unvollendete Bildnis
ihn wiedertraf, sagte ich:
«Ich habe Ihre Bilder gesehen und finde sie wunderbar.»
Amüsiert erwiderte er:
«Ich kann mir nicht denken, dass Sie etwas von Malerei verstehen.»
«Vielleicht nicht, aber die Bilder sind trotzdem wunderbar.»
«Sie sind eine kleine Närrin», sagte er grinsend.
«Das bin ich nicht, und ich möchte von Ihnen gemalt werden.»
«Wenn Sie eine Ahnung von Kunst hätten, wüssten Sie, dass ich keine hübschen Frauen porträtiere.»
«Es muss kein Porträt sein, und ich bin nicht hübsch.»
Nun blickte er mich an, als sähe er mich zum ersten Mal, und dann sagte er:
«Vielleicht haben Sie Recht.»
«Werden Sie mich also malen?»
Er betrachtete mich einige Sekunden lang, den Kopf zur Seite geneigt, und sagte schließlich:
«Sie sind ein merkwürdiges Kind.»
«Ich bin reich», sagte ich, «und ich kann mir ein hohes Honorar leisten.»
«Warum sind Sie eigentlich so wild darauf, von mir gemalt zu werden?»
«Weil ich es will!»
«Ist das ein Grund?»
«Ja, ich bekomme immer das, was ich will.»
«Sie armes Kind, wie jung Sie noch sind!»
«Werden Sie mich malen?»
Er nahm mich bei den Schultern, drehte mich zum Licht und betrachtete mich eingehend, dann trat er ein paar Schritte zurück, während ich ganz still stehen blieb.
«Ich wollte schon immer einmal ein Bild malen… ein Schwärm grellfarbener australischer Papageien umflattert St. Pauls Cathedral. Wenn ich Sie male mit einer hübschen, friedlichen Landschaft als Hintergrund, werde ich vielleicht genau die gleiche Wirkung erzielen.»
«Also werden Sie mich malen?»
«Sie sind das entzückendste, tollste, schillerndste, exotische Ding, das ich je gesehen habe. Ich werde Sie malen.»
«Abgemacht?»
«Aber ich warne Sie, mein Kind. Wenn ich Sie male, werde ich Sie wahrscheinlich verführen.»
«Das hoffe ich…», erwiderte ich.
Ich sagte das ganz ruhig und bestimmt. Er atmete hörbar, und ein merkwürdiger Ausdruck trat in seine Augen.
So plötzlich kam das alles.
Zwei Tage später trafen wir uns wieder. Er sagte mir, ich müsse mit ihm nach Devonshire fahren, dort gebe es eine Stelle mit dem richtigen Hintergrund für mich, und er fügte hinzu:
«Ich bin verheiratet, und ich liebe meine Frau.»
Ich entgegnete, dass sie, wenn er sie liebe, sehr nett sein müsse. Er sagte, sie sei besonders nett.
«Sie ist entzückend, und ich bete sie an. Merken Sie sich das, mein Kind, schreiben Sie es sich hinter die Ohren!»
Eine Woche später begann er mich zu malen. Caroline Crale empfing mich sehr liebenswürdig. Sie konnte mich nicht besonders leiden; warum sollte sie auch? Amyas war sehr vorsichtig und zurückhaltend. Er sagte nie ein Wort zu mir, das nicht auch seine Frau hätte hören dürfen, und ich war ebenfalls höflich und zurückhaltend. Aber wir wussten beide Bescheid.
Nach zehn Tagen sagte er mir, ich müsse nach London zurückkehren, und ich erwiderte:
«Das Bild ist doch noch nicht fertig.»
«Ich habe es noch kaum angefangen. Aber ich kann Sie nicht malen, Elsa.»
«Warum?»
«Das wissen Sie ganz genau, und deshalb müssen Sie fortgehen. Ich kann nicht mehr ans Malen denken, ich kann überhaupt nur noch an Sie denken.»
Wir waren auf der Schanze. Es war ein heißer Tag, die Sonne brannte, die Bienen summten, die Vögel zwitscherten. Alles schien glücklich und friedlich zu sein, aber mir war gar nicht so zumute. Ich war bedrückt. Es war, als würfen die kommenden Ereignisse ihre Schatten voraus. Ich wusste, dass es nicht angenehm sein würde, wenn ich nach London zurückginge, sagte aber:
«Gut, wenn Sie wollen, gehe ich.»
«Sie sind ein braves Kind.»
Ich ging fort, und ich schrieb ihm nicht.
Zehn Tage hielt er es aus, dann kam er. Er sah schrecklich aus, abgemagert, elend; es versetzte mir einen Schlag.
«Ich habe dich gewarnt, Elsa. Sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.»
«Ich habe auf dich gewartet; ich wusste, dass du kommen würdest.»
Stöhnend erwiderte er:
«Es gibt Dinge, die über unsere Kraft gehen. Ich kann nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, ich finde keine Ruhe ohne dich.»
Ich sagte, dass ich das wüsste und dass es mir ebenso ginge, dass es mir vom ersten Augenblick an so ergangen wäre. Es sei Schicksal, und man könne nicht dagegen ankämpfen.
Er fragte:
«Du hast nicht sehr dagegen angekämpft, nicht wahr, Elsa?»
Ich sagte, ich hätte überhaupt nicht dagegen angekämpft.
Dann meinte er, ich sei zu jung, und ich erwiderte, das mache nichts. Ich
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