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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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bereits seit sechs Monaten hier, und die Nummer des Apartments war seine offizielle Adresse, jedenfalls diejenige, unter der er sich in die Wählerliste eingetragen und seinen Führerschein für Mississippi erhalten hatte. Vier Meilen entfernt hatte er eine hübschere Unterkunft, konnte aber nicht das Risiko eingehen, dort gesehen zu werden.
    Also lebte er glücklich in Armut, einer mehr von den vielen mittellosen Studenten ohne Besitztümer und mit nur wenigen Verpflichtungen. Er war fast sicher, daß Fitchs Schnüffler seine Wohnung nicht betreten hatten, aber er überließ nichts dem Zufall. Die Wohnung war zwar billig, aber sorgfältig hergerichtet. Hier war nichts Verräterisches zu finden.
    Um acht war er mit dem Fragebogen fertig und las ihn noch ein letztes Mal durch. Den im Cimmino-Fall hatte er ganz normal geschrieben, in einer vollkommen anderen Schrift. Nach einem Monat des Übens war er sicher, daß man ihn nicht enttarnen würde. Damals hatte es dreihundert potentielle Geschworene gegeben, und jetzt waren es fast zweihundert, und weshalb sollte jemand auf die Idee kommen, daß er in beiden Gruppen sein würde?
    Von einem über das Küchenfenster gespannten Kopfkissenbezug verdeckt, überprüfte er rasch den Parkplatz auf Fotografen oder andere Eindringlinge. Vor drei Wochen hatte er einen von ihnen gesehen, der geduckt hinter dem Lenkrad eines Pickups saß.
    Heute keine Schnüffler. Er schloß seine Wohnung ab und verließ das Haus zu Fuß.
    Gloria Lane ging an diesem zweiten Tag wesentlich effektiver mit ihrer Herde um. Die verbliebenen 148 potentiellen Geschworenen wurden an der rechten Seite untergebracht, jeweils zwölf in einer Reihe, dicht gedrängt in zwölf Reihen mit den restlichen vier im Gang. Der Umgang mit ihnen war einfacher, wenn sie alle auf einer Seite des Gerichtssaals saßen. Die Fragebogen wurden eingesammelt, als sie den Saal betraten, und dann rasch kopiert und beiden Seiten ausgehändigt. Um zehn wurden die Antworten von Jury-Beratern analysiert, die in einem fensterlosen Raum eingeschlossen wordenwaren.
    Auf der anderen Seite des Gangs saß eine manierliche Schar von Finanzexperten, Reportern, Neugierigen und anderen Zuschauern und musterte die Anwälte, die ihrerseits die Gesichter der Geschworenen studierten. Fitch war unauffällig in die vorderste Reihe vorgerückt, um seinem Verteidigungsteam näher zu sein, flankiert von zwei gutgekleideten Lakaien, die auf seine nächsten Anweisungen warteten.
    Richter Harkin war ein Mann mit einer Mission an diesem Dienstag und brauchte nicht einmal eine Stunde, um die nichtmedizinischen Härtefalle zu erledigen. Sechs weitere wurden entlassen, wonach noch 142 übrigblieben.
    Endlich war es Showtime. Wendall Rohr, der allem Anschein nach dasselbe graukarierte Sportjackett, weiße Weste und gelbrote Fliege trug, erhob sich und trat an die Schranke, um sich an sein Publikum zu wenden. Er ließ laut seine Knöchel knacken, öffnete dann die Hände und lächelte breit und dunkel. »Willkommen«, sagte er dramatisch, als wäre das, was folgen sollte, ein Ereignis, das sie auf immer und ewig im Gedächtnis behalten würden. Er stellte sich und die Mitglieder seines Teams vor, die an dem Prozeß beteiligt sein würden, und dann bat er die Klägerin, Celeste Wood, sich zu erheben. Während er sie den potentiellen Geschworenen präsentierte, gelang es ihm, zweimal das Wort ›Witwe‹ einzuflechten. Sie war eine zierliche Frau von fünfundfünfzig, in einem schlichten schwarzen Kleid, schwarzer Strumpfhose und schwarzen Schuhen, die hinter der Schranke nicht zu sehen waren, und bedachte sie mit einem schmerzlichen kleinen Lächeln, als wäre sie noch immer im Stadium des Trauerns, obwohl ihr Mann seit vier Jahren tot war. Sie war sogar nahe daran gewesen, eine neue Ehe einzugehen, ein Ereignis, das Wendall Rohr, sobald er davon erfuhr, im letzten Moment verhindert hatte. Sie können den Mann ruhig lieben, hatte er ihr erklärt, aber tun Sie es in aller Stille, und heiraten können Sie ihn erst nach dem Prozeß. Der Sympathiefaktor. Man erwartet von Ihnen, daß Sie trauern, hatte er ihr erklärt.
    Fitch wußte über die verhinderte Heirat Bescheid, aber er wußte außerdem, daß kaum Aussicht bestand, die Sache vor die Geschworenen zu bringen.
    Nachdem Rohr alle auf seiner Seite des Saals offiziell vorgestellt hatte, lieferte er eine kurze Zusammenfassung des Falls, ein Vortrag, den die Anwälte der Verteidigung und der Richter mit immensem

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