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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Interesse verfolgten. Sie waren offensichtlich bereit, sofort zuzuschlagen, falls Rohr die unsichtbare Barriere zwischen Tatsachen und Schlußfolgerungen durchbrechen sollte. Er tat es nicht, aber es machte ihm Spaß, sie zu quälen.
    Dann wurden die Geschworenen wortreich gebeten, offen und ehrlich zu sein und sich nicht zu scheuen, ihre schüchternen kleinen Hände zu erheben, wenn sie auch nur das Geringste beunruhigte. Wie sonst könnten sie, die Anwälte, Gedanken und Gefühle erkunden, wenn nicht sie, die potentiellen Geschworenen, sich zu Wort meldeten? »Wir können das schließlich nicht, indem wir Sie nur anschauen«, sagte er und ließ abermals die Zähne aufblitzen. Im Augenblick befanden sich im Gerichtssaal nicht weniger als achtzig Leute, die verzweifelt versuchten, aus jeder gehobenen Augenbraue und jeder geschürzten Lippe ihre Schlüsse zu ziehen.
    Um die Sache ins Rollen zu bringen, griff Rohr nach einem Notizblock und warf einen Blick darauf. Dann sagte er: »Also, unter Ihnen sind eine ganze Reihe von Leuten, die schon einmal Geschworene in einem Zivilprozeß waren. Bitte heben Sie die Hand.« Ein Dutzend Hände wurde brav gehoben. Rohr ließ den Blick über sein Publikum schweifen und dann auf einer Dame in der vordersten Reihe zum Stillstand kommen. »Mrs. Millwood, nicht wahr?« Ihre Wangen röteten sich, als sie nickte. Alle Augen im Saal starrten auf Mrs. Millwood oder versuchten es zumindest.
    »Soweit ich informiert bin, waren Sie vor ein paar Jahren Geschworene in einem Zivilprozeß?« sagte Rohr herzlich. »Ja«, sagte sie, räusperte sich und versuchte, laut zu sprechen. »Was für ein Fall war das?« fragte er, obwohl er praktisch jedes Detail kannte - vor sieben Jahren, derselbe Gerichtssaal, anderer Richter, kein Pfennig für den Kläger. Die Akte war Wochen zuvor kopiert worden. Rohr hatte sich sogar mit dem Anwalt des Klägers unterhalten, der ein Freund von ihm war. Er hatte mit dieser Frage und dieser Frau angefangen, weil es ein leichtes Aufwärmen war, eine sanfte Masche, um den anderen zu beweisen, wie schmerzlos es war, die Hand zu heben und Dinge zu erörtern.
    »Es ging um einen Verkehrsunfall«, sagte sie.
    »Wo fand der Prozeß statt?« fragte er interessiert.
    »Genau hier.«
    »Oh, in diesem Saal.« Er hörte sich überrascht an, aber die Anwälte der Verteidigung wußten, daß er simulierte. »Sind die Geschworenen in diesem Fall zu einem Urteil gelangt?«
    »Ja.«
    »Und wie lautete das Urteil?«
    »Er hat nichts bekommen.«
    »Und mit ›er‹ meinen Sie den Kläger?«
    ›Ja. Wir waren nicht der Meinung, daß er wirklich verletzt worden war.«
    »Ich verstehe. War Ihre Tätigkeit als Geschworene eine angenehme Erfahrung für Sie?«
    Sie überlegte einen Moment, dann: »Es war okay. Aber eine Menge vergeudete Zeit, wissen Sie, wenn die Anwälte sich wegen diesem und jenem in die Haare gerieten.«
    Ein breites Lächeln. »Ja, dazu neigen wir leider. Nichts an dem damaligen Fall würde Ihre Fähigkeit beeinträchtigen, auch diesen zu hören?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Danke, Mrs. Millwood.« Ihr Mann war früher Buchhalter in einem kleinen Krankenhaus gewesen, das schließen mußte, nachdem es in einem Prozeß unterlegen war, in dem es um einen ärztlichen Kunstfehler ging. Urteile mit hohen Geldstrafen waren etwas, was sie insgeheim verabscheute, und aus gutem Grund. Jonathan Kotlack, der für die endgültige Auswahl der Geschworenen zuständige Anklageanwalt, hatte ihren Namen schon lange von der Liste der Wünschenswerten gestrichen. Aber an dem keine drei Meter von Kotlack entfernten Tisch der Verteidigung rangierte sie sehr hoch. JoAnn Millwood würde ein erstklassiger Fang sein.
    Rohr stellte anderen Geschworenen-Veteranen dieselben Fragen, und die Dinge wurden rasch monoton. Dann brachte er das heikle Thema der Reform des Haftungsrechts zur Sprache und stellte eine Reihe langatmiger Fragen über die Rechte der Opfer, ungerechtfertigte Prozesse und die Kosten von Versicherungen. Einige seiner Fragen grenzten an Mini-Schlußfolgerungen, aber er umging alle Probleme. Es war fast Mittag, und die Geschworenen hatten schon seit einiger Zeit das Interesse verloren. Richter Harkin unterbrach für eine Stunde, und die Deputies räumten den Saal.
    Aber die Anwälte blieben. Von Gloria Lane und ihren Gehilfinnen wurden Kartons mit durchgeweichten kleinen Sandwiches und roten Äpfeln verteilt. Dies sollte ein Arbeitslunch sein. Es mußte über ein Dutzend anhängige

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