Das Urteil
der Entscheidungsfreiheit. »Sind wir uns alle einig, daß Zigaretten potentiell gefährlich sind, wenn sie mißbraucht werden?« fragte er und sah zu, wie die meisten Köpfe zustimmend nickten. Wer wollte das bestreiten? »Also gut. Da diese Tatsache allgemein bekannt ist, können wir uns also darauf einigen, daß ein Mensch, der raucht, um die damit verbundenen Gefahren wissen sollte?« Weiteres Nicken, noch keine erhobenen Hände. Er musterte die Gesichter, insbesondere das ausdruckslose Gesicht, das Nicholas Easter gehörte, der jetzt in Reihe drei saß, als achter vom Gang aus. Wegen der Entlassungen war Easter jetzt nicht mehr Geschworener Nummer sechsundfünfzig. Er war bei jeder Sitzung weiter vorgerückt bis auf Nummer zweiunddreißig. Sein Gesicht verriet nichts als gespannte Aufmerksamkeit.
»Das ist eine sehr wichtige Frage«, sagte Cable langsam, wobei seine Worte in der Stille widerhallten. Mit einem ausgestreckten Finger zeigte er auf sie und sagte: »Ist unter Ihnen jemand, der nicht glaubt, daß ein Mensch, der sich für das Rauchen entschieden hat, die Gefahren kennen sollte?«
Er wartete, beobachtete sie, zerrte ein wenig an der Angelschnur und fing schließlich etwas. In der vierten Reihe hob sich langsam eine Hand. Cable lächelte, trat einen Schritt näher heran und sagte: »Ich glaube, Sie sind Mrs. Tutwiler. Bitte stehen Sie auf.« Wenn ihm wirklich viel daran gelegen hatte, daß sich jemand meldete, so war sein Glück von kurzer Dauer. Mrs. Tutwiler war eine zierliche Sechzigjährige mit einem zornigen Gesicht. Sie stand kerzengerade da, hob ihr Kinn und sagte: »Ich habe eine Frage an Sie, Mr. Cable.«
»Natürlich.«
»Wenn alle Leute wissen, daß Zigaretten gefährlich sind weshalb fährt Ihr Mandant dann fort, welche herzustellen?«
Einige ihrer Kollegen in der Gruppe grinsten. Alle Augen ruhten auf Durwood Cable, der weiterhin lächelte und nicht mit der Wimper zuckte. »Sehr gute Frage«, sagte er laut. Er hatte nicht die Absicht, sie zu beantworten. »Sind Sie der Ansicht, daß die Herstellung von Zigaretten verboten werden sollte, Mrs. Tutwiler?«
»Ja, das bin ich allerdings.«
»Auch wenn es Leute gibt, die von ihrem Recht Gebrauch machen möchten, sich für das Rauchen zu entscheiden?«
»Zigaretten machen süchtig, Mr. Cable, das wissen Sie.«
»Danke, Mrs. Tutwiler.«
»Die Hersteller reichern sie mit Nikotin an, um die Leute süchtig zu machen, und dann werben sie wie verrückt, um mehr davon verkaufen zu können.«
»Danke, Mrs. Tutwiler.«
»Ich bin noch nicht fertig«, sagte sie laut, umklammerte die Rückenlehne der Bank vor ihr und richtete sich noch gerader auf. »Die Hersteller haben immer bestritten, daß Rauchen süchtig macht. Das ist eine Lüge, und sie wissen es. Warum schreiben sie das nicht auf ihre Schachteln?«
Durr verzog keine Miene. Er wartete geduldig, dann fragte er überaus freundlich: »Sind Sie fertig, Mrs. Tutwiler?« Es gab noch andere Dinge, die sie gern gesagt hätte, aber jetzt dämmerte ihr, daß dies vielleicht nicht der richtige Ort dafür war. »Ja«, sagte sie fast flüsternd.
»Danke. Meinungsäußerungen wie Ihre sind überaus wichtig für den Prozeß der Geschworenen-Auswahl. Haben Sie vielen Dank. Sie können sich wieder setzen.«
Sie schaute sich um, als ob einige der anderen gleichfalls aufstehen und mit ihr kämpfen sollten, sank aber, alleingelassen, auf ihren Platz zurück. Sie hätte den Saal ebensogut gleich verlassen können.
Cable wandte sich rasch weniger heiklen Themen zu. Er stellte eine Menge Fragen, provozierte ein paar Antworten und gab seinen Experten für Körpersprache eine Menge, worüber sie nachgrübeln konnten. Er machte um zwölf Schluß, gerade rechtzeitig für einen schnellen Lunch. Harkin forderte die potentiellen Geschworenen auf, um drei Uhr wieder da zu sein, wies die Anwälte aber an, schnell zu essen und in einer Dreiviertelstunde zurückzukehren.
Um ein Uhr, als der Gerichtssaal leer und abgeschlossen war und die Anwälte dicht gedrängt an ihren Tischen saßen, erhob sich Jonathan Kotlack und informierte das Gericht: »Die Anklage akzeptiert Geschworene Nummer eins.« Niemand wirkte überrascht. Alle schrieben etwas auf einen Computerausdruck, auch Seine Ehren, der, nach einer kurzen Pause, fragte: »Die Verteidigung?«
»Die Verteidigung akzeptiert Nummer eins.« Auch keine große Überraschung. Nummer eins war Rikki Coleman, eine junge Frau und Mutter von zwei Kindern, die nie geraucht
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