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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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dieser Verantwortung zu entkommen, daß er sich selbst davon überzeugt hatte, Freemans Strategien würden vermutlich Erfolg haben.
    Er hatte also nach Kräften Selbstbezichtigung geübt, sich wegen seiner Schwächen und Fehler gegeißelt. Wieder und wieder war er vom Olympia Way hinunter zur Haight Street gefahren und hatte versucht, eine Abkürzung zu finden, die seine Argumentation, wie Jennifer zur Bank gekommen war, zunichte machen würde.
    Doch durch all das zog sich ein roter Faden. Er hatte geglaubt - er hatte niemals in Frage gestellt -, daß Jennifer den Weg genommen hatte, den sie genommen zu haben behauptete. Zumindest war sie auf asphaltierten Straßen gelaufen. Er hatte pflichtbewußt seinen Stadtplan zu Rate gezogen. Nein, er hatte sich selbst davon überzeugt, daß die Sache hieb- und stichfest war. Selbst wenn Jennifer eine Strecke genommen hatte, die ein kleines bißchen kürzer war - solange sie auf den Straßen lief, konnte sie es nicht bis zur Bank geschafft u nd zu gleich Larry umgebracht haben.
    Jetzt wurde ihm bewußt, daß er das Gelände des Klinik zentrums der University of Californien/San Francisco völlig ignoriert hatte, ungefähr zehn Häuserblocks aus Unigelände und Unibauten am Fuße des Mount Sutro zwischen Jennifers Haus und ihrer Bank. Er hatte es gesehen, natürlich - er wußte, da war der Klinikkomplex. Aber er war nie aus dem Auto gestiegen und hatte das Gelände durchquert. Auf dem Stadtplan sah es völlig unzugänglich aus, ein dichtes Laby rinth undurchdringlich abgeschotteter Bauten. Die hohen Klinikgebäude sahen aus wie eine Festung, nicht wie ein Park, durch den jedermann schlicht und einfach hindurchspazieren konnte. Es gab dort eine Mauer - aber warum hatte er ge dacht, daß sie unüberwindbar wäre, ohne Tore? Warum war er nicht ausgestiegen und hindurchspaziert und hatte es sich angesehen?
    Weil er schlauer gewesen war, als es in seinem, in Freemans und, am allerwichtigsten, in Jennifers Interesse gelegen hätte. All seine sorgfältigen Berechnungen über Zeiten und Distan zen, und wie Jennifer es nicht zur Bank geschafft und Geld vom Konto abgehoben haben konnte, als sie dies tat, und noch rechtzeitig nach Hause kommen konnte, um die Verbrechen zu begehen - all das besagte letztlich nicht, was er sich immer eingeredet hatte. Er war schuld daran, daß Powell Freeman so vernichtend abbügeln konnte. Und das, mehr noch als Free- mans Egomanie und taktische Fehlgriffe, hatte seiner Mei nung nach zu der Verurteilung geführt.
    Hardy hatte sich, jedenfalls theoretisch, immer mehr oder weniger zu den Befürwortern der Todesstrafe gezählt. Er gab gar nicht erst vor, daß sie zur Abschreckung taugte. Was dadurch aber ausgeschaltet wurde, war die Möglichkeit, daß der Mensch, der hingerichtet wurde, noch einen anderen Men schen töten würde - entweder wenn er auf Bewährung frei kam oder wenn er lebenslänglich in Haft blieb, während seines Lebens hinter Gittern.
    Er hatte immer das favorisiert, was er das Moskito-Ar gument nannte - wenn du einen Moskito totschlägst, der dich gestochen hat, konntest du wenigstens sicher sein, daß dieser ganz spezielle Moskito dich nicht wieder stechen würde. Andere Moskitos mußten ja nichts davon erfahren und es einander erzählen und abgeschreckt werden - wenn ein anderer dich stach, dann schlugst du den eben auch tot. Auf diese Weise gab es in der Bevölkerung wenigstens weni ger Moskitos.
    Aber er kannte Jennifer. Sie war kein Moskito. Er ver stand, warum sie das getan hatte, was sie getan hatte, falls sie es getan hatte. Und er war nicht der Ansicht, daß sie dafür die Todesstrafe verdient hätte.
    Hier, das wußte er, wurde, wenigstens allgemein gesagt, der Boden unter seinen Füßen wackelig. Jeder Mörder kannte irgend jemanden, der ihn - oder sie - kannte. Jemanden, der verstand, daß der Betreffende eine beschissene Kindheit hinter sich hatte, oder was auch immer sonst zum Irrglauben geführt hatte, es sei in Ordnung, andere Menschen aus Wut oder Frustration umzubringen. Die Kehrseite der Medaille war natür lich die Tatsache, daß die Opfer ebenfalls Menschen kannten, die sie geliebt hatten, deren Leben ruiniert und deren Herzen zerbrochen waren. Was war mit denen?
    Um nicht von den Opfern selbst zu sprechen. Sie hatten nicht darum gebeten, Opfer zu werden, oder doch? Sie hatten nichts Verkehrtes getan, und jetzt waren sie tot, und üblicherweise zog Hardy an diesem Punkt die Trennlinie - wer Unschuldige umbrachte,

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