Das Urteil
ließen sie herein, und sie lehnte sich mit verschränkten Armen an die geschlossene Tür. Sie hatte Hardy gebeten, ihr eine Schachtel Zigaretten mitzubringen, und er schüttelte eine Zigarette heraus und gab sie ihr. Das Gefängnis von San Francisco war offiziell eine rauchfreie Zone, was natürlich eine rege Heimarbeitsindustrie bei den Häftlingen hervorbrachte, die Zigaretten hereinschmuggelten und verkauften, wie sie auch Kokain, Marihuana und Heroin unter die Leute brachten. Hardy konnte sich einfach nicht vorstellen, daß man Jennifer, die wegen Mordes verurteilt war und der die Todesstrafe drohte, deswegen Scherereien machen würde, weil sie im Besprechungszimmer der Rechtsanwälte eine rauchte.
Sie kniff die Augen gegen den Rauch zusammen und sah ihn finster an.
»Und jetzt?« sagte sie.
»Jetzt reden wir, glaube ich, darüber, daß Larry Sie geschlagen hat.«
Sie kniff erneut die Augen zusammen, es schien, als ziehe sie sich völlig zurück. »Und das ist der Grund, warum ich ihn umgebracht habe?«
Hardy nickte. »Das ist unsere größte Chance. Schon immer gewesen.« Er ging einen Schritt auf sie zu, aber sie starrte ihn finster an, woraufhin er haltmachte. »Kommen Sie einigermaßen klar?« fragte er freundlich.
Sie lachte kurz, es klang eher wie ein Bellen, dann hustete sie, hatte sich am Rauch ihrer Zigarette verschluckt. Der kleine Raum war völlig verqualmt. »Mir geht es wirklich gut«, sagte sie. »Wirklich gut. Es macht mir großen Spaß, hierzusein.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die ihr über das Gesicht liefen. Sie wischte sie nicht weg.
Hardy versuchte noch einmal, sich ihr zu nähern, doch sie streckte die Hand vor. »Bleiben Sie mir vom Leib.« Sie drehte sich halb zur Seite, lehnte eine Schulter an die Tür, zitternd, mit bebendem Körper, versuchte, das Schluchzen in den Griff zu bekommen. Die Zigarette fiel neben ihren Füßen zu Boden. »Das bin ich nicht -« Nach all den anderen Szenen war dies hier keine Schauspielerei. Sie sprach zu sich selbst. »Soweit kann es mit mir doch nicht gekommen sein.«
Hardy wußte nicht, was er sagen sollte. Oder tun sollte. Er reagierte teilweise auf dieselbe Weise - dies hier war nicht wirklich, soweit konnte es doch einfach nicht gekommen sein. Und dennoch war es so gekommen.
Eine der Wärterinnen blickte durch das Fenster, beugte sich mit teilnahmsloser Miene vor. Die beiden Menschen in dem Raum, der eine weinend, der andere herumstehend, hätten ebensogut Teil der Einrichtung sein können. Die Wärterin ignorierte den Zigarettenrauch.
Es hatte keinen Sinn, Druck zu machen. Hardy griff sich einen der Stühle, drehte ihn um und setzte sich rittlings darauf. Er legte die Arme über die Stuhllehne und wartete ab.
Irgendwann mußte auch sie sich hinsetzen. Sie drehte den Stuhl zur Seite, legte einen Arm auf den Tisch. »Ich weiß nicht, warum er das unbedingt tun mußte.«
»Wer?«
»Larry.« Sie nickte. »Ich habe immer versucht, eine gute Ehefrau, eine gute Mutter zu sein. Aber ich weiß, wer ich bin. Ich vermute, Larry wußte das auch, vielleicht sogar besser als ich selbst. Er versuchte, mich vor mir selbst zu beschützen, glaube ich, mich davon abzuhalten, Fehler zu machen - Und er war nicht so gemein wie Ned. Selbst wenn er ausrastete, war er nicht richtig gemein - es war eher so, als habe er eine Aufgabe zu erledigen.«
»Damit Sie nicht aus der Reihe tanzen?«
»Es war ja nicht jeden Tag, wissen Sie. An den meisten Tagen passierte überhaupt nichts, manchmal sogar ein paar Wochen lang. Doch dann hat es mich einfach gepackt - dieses ... dieses Gefühl, wenn ich jetzt nicht irgendwas unternehme ... irgendwas für mich selbst, dann drehe ich durch ... Ein paarmal bin ich, glaube ich, wirklich durchgedreht. Ich habe mit Sachen um mich geworfen, das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Die Wut hat mich einfach überwältigt. Wissen Sie überhaupt, wovon ich rede? Mir ist klar, daß sich das ziemlich merkwürdig anhört.«
»Aber Sie konnten ihn nicht verlassen?«
Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich hatte ja überhaupt nicht vor, ihn zu verlassen. Ich habe Larry und ... oh Gott, ich habe Matt geliebt. Es war nicht so wie bei Ned. Ganz und gar nicht. Ich habe wirklich gehofft, daß wir irgendwann damit klarkommen.«
Hardy dachte, daß dieser Bericht der direkteste - und traurigste - von allem war, was er bisher aus Jennifer herausbekommen hatte, doch wenn es für sie beide irgendwie nützlich sein sollte, dann mußte er
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