Das Urteil
noch mehr hören. »Tut mir leid, daß ich Sie das frage, Jennifer, aber was war mit Ken Lightner?«
Es war, als habe sie die Frage bereits erwartet, sie nickte vor sich hin. »Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat mir davon erzählt, daß Sie ihn damit angelogen haben, ich hätte gesagt, daß wir miteinander geschlafen haben. Aber ich werde nicht so tun, als hätte ich keine starken Gefühle für Ken. Ich habe sie.« Sie starrte einen langen Augenblick vor sich hin. »Aber nein«, sagte sie schließlich, »ich hätte Larry und Matt nicht seinetwegen verlassen. Wir haben darüber gesprochen. Es war in Ordnung so. Ich wollte es, besonders am Anfang. Doch das wäre nur immer wieder das gleiche Verhalten gewesen - Ken hat mir dabei geholfen, das zu erkennen. Etwas zu tun, von dem ich wußte, daß es falsch war, so daß ich bestraft werden würde. Ken sagte, ich sollte den Teufelskreis durchbrechen und von vornherein nichts Falsches tun. Auf diese Weise würde ich nicht das Gefühl haben, Strafe zu verdienen.«
»Und wie ist es für ihn? Was, glauben Sie, empfindet er für Sie?«
Sie zuckte die Schultern. »Er denkt, daß ich gut aussehe. Das hat er mir gesagt, damit ich nicht dachte, er würde mich zurückweisen.« Ihre Hände lagen gefaltet im Schoß, sie hielt den Kopf gesenkt, ihre Stimme war fast unhörbar. »Männer finden mich attraktiv, aber wenn sie mich erst mal kennenlernen, dann mögen sie mich nicht mehr so gern.«
»Er hält zu Ihnen, die ganze Zeit über«, sagte Hardy. »Das zählt.«
»Ich denke schon.«
Hardy holte tief Luft - dies war der richtige Moment. »Wenn wir über diese ganze Sache und über Ken sprechen können, all das Gerede über die Affäre einmal beiseite lassen und Sie sagen genau das, was Sie eben zu mir gesagt haben, wie Sie einfach durchgedreht sind und ein paar verrückte Sachen gemacht haben - ich glaube, dann könnten wir eine Chance haben.«
Sie sah ihn nur an.
Er sprach mit leiser Stimme weiter. »Wir können einen anderen Psychofritzen - oder sogar Ken, wenn Sie wollen - dazu bringen, daß er auf Nachsicht wegen all dem Streß plädiert, den Sie durchgemacht haben.«
Jetzt schüttelte sie den Kopf.
»Was ist?«
»Nein«, sagte sie. »Ich habe es Ken schon gesagt. Nein.«
Hardy hielt inne. Was meinte sie mit nein?
»Das bedeutet doch, wieder zu sagen, daß ich sie umgebracht habe, oder nicht? Ich würde sagen, daß ich eines Morgens einfach durchgedreht bin und sie umgebracht habe.« Sie hatte sich wieder aufgerichtet, hatte den Kopf zurückgeworfen, die Augen wurden wieder lebendig. »Sobald ich das sage, gibt es wirklich keine Hoffnung mehr.«
War das ein dejá vu? Ein dejá vu? Hardy hatte diese Situation, so schien es ihm, bereits millionenfach durchlebt. Wenn sie nichts Neues zu sagen hatte, dann würden die Geschworenen sich für die Todesstrafe entscheiden.
»Ich werde zu keinem Menschen je sagen, daß ich Larry umgebracht habe!«
Hardy begegnete ihrem Blick, ablehnend und hart. Ihm fiel auf, daß sie Matt nicht mit eingeschlossen und auch nicht er wähnt hatte. »Die beiden«, sagte sie. Sie konnte Larry sagen, aber nicht Matt . Jennifer mochte zulassen, daß andere Leute - Ned oder Larry - sie bis zu einem gewissen Punkt unter Kontrolle hatten, doch wenn sie diesen Kontrollbereich verließ, dann aus eigenem Antrieb.
Auch hatte er den Eindruck, daß sie sich im Verlauf des letzten Jahres verändert hatte - vielleicht hatte sie nicht nur beschlossen, sich von Larry nichts mehr bieten zu lassen, sondern auch von anderen Männern nicht mehr. Sie war selbstbewußt geworden, hatte sich von dem Hang zur Unterwürfigkeit befreit, der es zugelassen hatte, daß sie sich schlagen ließ und das akzeptierte.
Wenn es ihr allmählich bessergehen sollte, freute sich Hardy für sie. Trotzdem, dachte er, strategisch betrachtet hätte es zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können.
Wie sollte er den Geschworenen gegenüber argumentieren? Was konnte er anführen, das sie wenigstens dazu bringen könnte, Jennifers Leben zu schonen?
Da er sich schon einmal im Justizgebäude befand, dachte er, er könnte ebensogut in Dean Powells Büro im dritten Stock vorbeigehen und nachschauen, ob Powell während der Wahlkampagne trotzdem Zeit am Schreibtisch verbrachte.
Das tat er. Er saß allein im Zimmer und las etwas, was nach einem Polizeibericht aussah, schreckte bei Hardys Klopfen auf. Nach der ersten Überraschung kam der joviale Wahlkandidat zum Vorschein. »Hardy! Kommen Sie
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