Das Urzeit-Monstrum
Meer kommt. Das wäre doch sehr ungewöhnlich, denke ich. Aber die Oma weiß oft Rat.«
Harry schaute zu, bis der Hotelier aufgehört hatte, den Kopf zu schütteln.
»Und was ist der Grund?«
»Sie haben mich neugierig gemacht.« Er lächelte und senkte dabei den Kopf. »Wissen Sie, wir haben hier viele Gäste. Die meisten von ihnen kommen schon seit Jahren, und es sind die unterschiedlichsten Personen dabei. An unserer Bar geht es am Abend und in der Nacht oft hoch her, das haben Sie gestern selbst erleben können. Man hört viel, man weiß schließlich einiges über die Gäste, die ihrer Anonymität entstiegen sind. Es finden Gespräche und Diskussionen statt, aber über alte Legenden und Spukgeschichten haben wir eigentlich noch nie gesprochen.«
»Und das soll Sie wirklich neugierig gemacht haben, Herr Claasen?« fragte Harry.
»Auch.«
Stahl griente. »Und was ist der eigentliche Grund für Ihre Neugierde?«
»Das will ich Ihnen sagen. Wir leben zwar auf einer Insel, und unser Hotel wird als Insel auf der Insel bezeichnet, aber wir sind nicht aus der Welt. Auch wir hören Nachrichten. Ich habe von drei verschwundenen Personen erfahren. Sie sind wie vom Erdboden verschluckt. Es hat in der Zeitung gestanden. Die Polizei hat nachgeforscht, und es sind Verhöre angestellt worden, das alles ist bekannt…«
»Aber was hat das mit meinen Fragen zu tun?«
Claasen schob seine Brille etwas höher. »Man hat keine Spuren gefunden. Man ist rein auf Vermutungen angewiesen, und so könnte es sein, daß diese Vermutungen auch in eine bestimmte Richtung gehen, sage ich mal vorsichtig.«
»Damit meinen Sie den Kraken.«
»Das haben Sie gesagt.« Der Hotelier lächelte hintergründig. »Ich weiß nicht, weshalb Sie wirklich hier im Hotel wohnen, aber ich gehe einfach davon aus, daß Sie ein Feriengast sind.«
»Das ist auch am besten, Herr Claasen.«
»Gut. Belassen wir es dabei. Sollten Sie aber Hilfe brauchen oder auch irgendwelche Informationen, dann stehe ich Ihnen gern zur Verfügung, Herr Stahl.«
»Danke.«
»Und jetzt wollen Sie den Kraken von Keitum suchen?«
»Nein, nein, ich werde mir Ihre berühmte Kirche und den Friedhof anschauen.«
»Das lohnt sich auf jeden Fall. Aber einen Kraken werden Sie dort bestimmt nicht sehen.«
»Ich hoffe es.«
Harry winkte mit der rechten Hand und schlenderte auf den Ausgang zu, vorbei an einem mannshohen Diener aus Stein, der ein Tablett in den Händen trug.
Auf ihm lagen zahlreiche Visitenkarten der verschiedensten Lokale.
Erst jetzt streifte Harry Stahl seine Jacke über.
Er stellte fest, daß der Wind aufgefrischt hatte. Wie ein kalter Lappen fuhr er in sein Gesicht.
Er brachte auch das Geräusch eines fahrenden Zuges mit, denn nicht weit entfernt, aber hinter Häusern verborgen, verliefen die Gleise, die zum Hindenburgdamm führten und in der anderen Richtung am Bahnhof von Westerland endeten.
Der Agent hatte Claas Claasen nicht die ganze Wahrheit gesagt.
Natürlich würde er sich auch die Kirche anschauen. Sie lag auf einem Hügel.
Und von ihm aus hatte man einen phantastischen Blick über das Watt…
***
Boris Beckmann stand vor seinem Gemälde und wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Er glotzte in dieses Krakenauge hinein und wünschte sich, daß die Gestalt dort verschwinden würde, aber sie blieb, und er konnte auch erkennen, daß es wirklich kein anderer war als er selbst.
Seine Gestalt zeichnete sich vom Kopf bis zu den Füßen in diesem verfluchten Auge ab. Natürlich verkleinert, aber die Perspektive stimmte schon, das war alles perfekt.
Der Maler schaute sich selbst an. Das Auge war kein Spiegel, es war als gallertartige Masse gemalt worden, mit leichten Wolken darin und auch Streifen. Es hätte ihn selbst überhaupt nicht wiedergeben können, trotzdem sah er sich darin.
Und zwar so, wie er angezogen war. Dunkle Hose, dunkler Pullover.
Alles stimmte, aber es war kein Spiegel.
Wieso konnte das möglich sein?
Es war schwer für Boris Beckmann, darüber nachzudenken und auch eine Lösung zu finden. Irre Möglichkeiten huschten durch seinen Kopf.
Vielleicht war dieser gemalte Krake ein besonderes Wesen, in dem eine Elektronik steckte, die perfekter war, als die Menschheit sie bisher erfunden hatte. Daß sie durch Sensoren ihn, den Betrachter, abtastete, und zwar von der Haarspitze bis zum Zehennagel.
Diese Informationen dann an irgendwen oder irgendwas weiterleitete, so daß dieses Unbekannte für eine Projektion des Zuschauers im
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