Das Urzeit-Monstrum
Verschwundenen aufzuklären.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Man kann es spüren.«
»Da irren Sie sich.«
»Nun ja«, sagte Harry, »jedenfalls war es ein schöner Nachmittag am Watt. Ich habe mit einigen Leuten gesprochen, wobei mir ein Mann aufgefallen ist, der etwas Besonderes sein muß.«
Stahl hatte seine Worte bewußt so gewählt und Claasen auch neugierig gemacht. »Ein besonderer Mann, sagten Sie?«
»Ja, er scheint am Watt zu wohnen, in einem der freistehenden Häuser.«
»Da gibt es einige.«
»Stimmt. Es ist mir nur aufgefallen, weil er Haare hat wie der Struwwelpeter.«
Claas Claasen trat einen Schritt zurück. »Ach, den meinen Sie, Herr Stahl?«
»Oh – Sie kennen ihn?«
Claasen mußte lachen. »Und ob ich den kenne. Viele hier kennen ihn. Er heißt Boris Beckmann und ist Maler. Sogar ein ziemlich bekannter. Jedenfalls in den Kreisen, die seine Bilder lieben. Ich würde mir hier im Haus die Werke nicht aufhängen, dazu sind sie einfach zu düster und angsteinflößend.«
»Tatsächlich?«
»Ja, er malt – wie soll ich sagen?« Claasen suchte nach den richtigen Worten. »Kann jemand apokalyptisch malen?«
»Das geht schon, denke ich.«
»Eben, und so malt Beckmann. Der bringt immer den Weltuntergang auf die Leinwand. Grauenhaft und düster. Er malt gräßliche Monstren, die aus irgendwelchen Welten entsteigen, um Angst und Schrecken über die Menschen zu bringen. Furchtbare Gestalten, nicht Menschen, nicht Tiere, sondern Monster.« Er schüttelte sich. »Mein Fall sind diese Bilder wahrhaftig nicht.«
Harry hob die Augenbrauen.
»Kennen Sie diesen Boris Beckmann denn näher?«
»Hm.« Claasen überlegte. »Was heißt hier näher kennen? Nein, eigentlich nicht.«
»Aber Sie haben schon mit ihm gesprochen, denke ich.«
»Das sicherlich. Im Sommer kommt er hin und wieder hier in die Bar und trinkt das eine oder andere Glas. Deshalb weiß ich auch, wie er sein Geld verdient. Aber einen freundschaftlichen Kontakt pflegen wir nicht. Ich glaube, daß er dies auch gar nicht will. Er ist ein Einzelgänger, ein Eigenbrötler und lebt eigentlich nur in seiner bilderhaften Welt. Ich habe mich schon manches Mal gefragt, wie er überhaupt auf diese Ideen kommt? Wie kann ein Mensch nur derartig düstere Bilder malen? Er kann daran doch keine Freude haben. Vielleicht ist er innerlich kaputt, was weiß ich. Mein Fall ist das nicht.«
»Aber die Bilder werden gekauft?«
»Klar, und sie sind nicht eben billig. Es gibt die Fangemeinde, mehr weiß ich auch nicht.«
»Stammt er von der Insel?«
»Nein, er ist vor einigen Jahren zugezogen und hat sich das Haus am Watt gekauft. Haben Sie sich denn länger mit ihm unterhalten?« wollte der Hotelier wissen.
»Nein, eigentlich nicht. Er fiel mir nur wegen seines Haarschnitts auf. Hört sich seltsam an, ist aber so. Dieser Mann war – wie soll ich sagen? Er war mit sich selbst beschäftigt. Redete auch mit sich selbst. Ich hörte es, aber ich sprach ihn selbst nicht an, sondern habe ihn nur beobachtet. Lebt er denn allein?«
»Ja, Herr Stahl, von einer Frau weiß ich nichts. Ich will ihn beileibe nicht schlecht machen, doch meiner Ansicht nach wird sich nur schwer eine Frau finden, die in einer derartigen Umgebung überhaupt leben kann. Ich käme damit nicht zurecht.«
»Das kann ich verstehen«, gab Harry zu.
Claas Claasen zeigte wieder sein etwas wissendes Lächeln, als er sich vorbeugte. »Haben Sie ihn denn in Verdacht, Herr Stahl?«
»Verdacht? Wieso?«
»Wenn jemand so fragt wie Sie, dann kann er eigentlich nur ein Polizist sein, und zwar einer, der aus den neuen Bundesländern kommt, wie man Ihnen unschwer anhören kann.«
»Meinen Sie?«
»Ich rechne damit.«
Harry schaute in sein leeres Glas. »Ein Polizist bin ich auf keinen Fall, Herr Claasen.«
»Akzeptiert.«
»Dann bringen Sie mir noch ein gedrehtes Bier, und was trinken Sie?«
»Das gleiche.«
»In Ordnung.«
Nachdem die beiden Gläser gefüllt waren und Harry durch die Fenster die Abfahrt einiger Fahrzeuge vom Parkplatz beobachtet hatte, hob Claas Claasen sein Glas und prostete dem Gast zu. »Auf Ihren Job als Privatdetektiv, Herr Stahl.«
Er wartete natürlich auf eine Antwort, aber Harry tat ihm den Gefallen nicht.
Er sagte gar nichts, sondern trank den ersten langen Schluck, und auch Claasen ließ den Gerstensaft in seine Kehle rinnen.
»Habe ich ins Schwarze getroffen, was Ihren Beruf angeht, Herr Stahl?«
»Meinen Sie das so?«
»Sicher.«
»Dann bleiben Sie
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