Das Urzeit-Monstrum
John. Ich weiß auch nicht, ob er heute morgen schon gefunden worden ist. Aber er wird sicherlich nicht bis zum Abend unentdeckt bleiben. Dieser Mann ist durch das Monstrum aus der Tiefe wieder hervorgerissen worden. In sie muß er hineingezerrt worden sein, um dort sein Leben zu beenden. Davon gehe ich aus, aber einen direkten Grund kann ich mir nicht vorstellen.«
Ich löschte die Kippe und sagte mehr zu mir selbst gewandt: »Wir können eigentlich davon ausgehen, daß sich dieses Monstrum wieder in seine Untiefen zurückgezogen hat. Allerdings ohne den Maler. Also bleibt er unser Ansatzpunkt.«
Stahl griente mich an.
»Wie ich dich kenne, möchtest du ihn besuchen – oder?«
»Das liegt ja auf der Hand.«
»Okay, ich ebenfalls. Wann?«
»Meinetwegen sofort.«
»Aber zuvor fahren wir am Hotel vorbei. Es liegt auf dem Weg.«
»Gut.«
Wir verließen das Café. Den Strand und das Meer sah ich nicht, denn wir begaben uns direkt zu dem Parkplatz, wo Harry seinen grünen Ford Scorpio abgestellt hatte, den er als Dienstwagen fuhr. Die Parkzeit war bis auf zwei Minuten abgelaufen, und eine Hostess lauerte bereits mit gierigem Geierblick darauf, uns ein Knöllchen zu verpassen. Das konnte sie sich jetzt abschminken. Als wir an ihr vorbeirollten, winkte ich der schon älteren Dame zu, die daraufhin ein noch finstereres Gesicht zog.
Im Winter kam man schneller aus Westerland heraus als im Sommer.
Gebaut wurde dann hier zwar auch, aber es hielt sich in Grenzen. Schon bald bewegten wir uns auf einer breiten Straße in Richtung Keitum weiter.
Die Umgebung änderte sich. Sie lag in einer winterlichen Ruhe, aber es waren keine Hochhäuser zu sehen.
Dafür entdeckte ich Bäume, Häuser mit Reetdächern, flatternde Rauchfahnen über den Öffnungen oder Schornsteine und Spaziergänger, die sich in ihre Winterkleidung eingehüllt hatten. An einer Straßenecke, wo sich auch eine kleine Teestube befand, mußten wir rechts ab; und dann bogen wir nach links ab.
Sekunden später lag die ›kleine Ranch‹ vor uns. Ein wunderschönes Hotel, das aus mehreren Häusern bestand, die durch Gänge miteinander verbunden waren.
»Und?« fragte Harry.
»Toll hier.« Unter den Reifen knirschten die kleinen Kieselsteine. Der Wagen fand seinen Platz auf dem fast leeren Parkplatz, wir stiegen aus und traten hinein in die Wärme. Herzlich wurde ich willkommen geheißen, lernte auch den Chef kurz kennen, der uns mit irgendwie wissenden Blicken bedachte, wobei ich mittlerweile wußte, daß er Harry für einen Privatdetektiv hielt. Ich ging in mein Zimmer. Es war klein, sauber und gemütlich. Man konnte es als gute Stube bezeichnen. Sogar die helle Blümchentapete an den Wänden störte mich nicht.
Fünf Minuten später waren wir wieder auf dem Rückweg. An der Rezeption stand Claas Claasen und telefonierte. Er entdeckte uns sofort und winkte.
Wir verstanden das Zeichen und blieben stehen.
»Hast du noch was mit ihm zu bereden?« fragte ich Harry.
»Nicht daß ich wüßte.« Claasen hatte schon aufgelegt und kam zu uns.
Sein Gesicht war leicht gerötet, und er machte einen aufgeregten Eindruck, als er uns zunickte.
»Es ist passiert«, sagte er.
»Was denn?« fragte Harry.
»Man hat einen Toten am Strand gefunden. Es ist die erste der drei vermißten Personen.«
Harry mußte schlucken. »Und wo?«
»Hier bei uns. An der Wattseite. In Keitum.« Claasen sprach schnell und abgehackt.
Harry legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Nun beruhigen Sie sich mal, Herr Claasen. Sie haben damit nichts zu tun. Wo genau ist der Tote denn gefunden worden?«
»Am Strand, das sagte ich…«
»Ich frage mal anders. Wie weit ist das Haus des Malers von diesem Fundort entfernt?«
»Nicht weit, Herr Stahl. Man muß nur über den Deich gehen…«
Die Nacht war vorbei, der Morgen graute, und Boris Beckmann erwachte wie aus einem tiefen Traum. Er hatte die Stunden hinter sich, aber er konnte sich nicht mehr an die vergangene Nacht erinnern. Er wußte nicht mal, ob er normal geschlafen und geträumt hatte. Oder ob mit ihm etwas passiert war, das sein Leben von nun an radikal ändern würde.
Jedenfalls hatte er nicht im Bett gelegen. Er war auf dem Boden seines Wohnraums erwacht, und er hatte zudem Mühe gehabt, auf die Beine zu kommen. Er fühlte sich so schwer und zugleich träge. Es gab zwar den Vergleich mit bleigefüllten Beinen, doch das traf bei ihm nicht zu. Er dachte mehr daran, daß seine Glieder, die Arme als auch die Beine, aus einer
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