Das Urzeit-Monstrum
dabei, aber denken Sie auch daran, daß es Menschen gibt, die hier Urlaub machen.«
»Das weiß ich sehr gut. Nur bei Ihnen bin ich mir nicht so sicher.«
Der Hotelier hatte mit seiner Einschätzung fast recht gehabt. Es hatte zudem eine Zeit gegeben, in der Harry versucht hatte, sich als Privatdetektiv durchzuschlagen, aber diese Ära lag glücklicherweise zurück und war so gut wie vergessen, denn es war ihm nach seiner Entlassung aus dem Polizeidienst nicht gut gegangen in diesem Job.
»Und morgen wird Ihr Freund aus London eintreffen?«
»Ja.«
»Auch ein Kollege?«
»Nein!« erklärte Harry lachend. »Das kann ich mit gutem Gewissen behaupten.«
»Darf ich gespannt sein?«
»Klar doch«, erwiderte Harry und hob sein Glas. »Trinken wir auf den folgenden Tag.«
»Ja. Vorausgesetzt, es gibt etwas Besonderes.«
»Das kann man nie vorher wissen«, erwiderte Harry etwas orakelhaft…
***
Ich saß im Zug und fuhr über den Damm!
Es soll ja Leute geben, die dann, wenn sie das Festland verlassen haben, ein besonderes Gefühl bekommen, doch das verspürte ich nicht.
Vielleicht lag es daran, daß ich mit dem Zug fuhr.
Zu beiden Seiten des Damms sah ich Wasser. Flaches Wasser.
Eisschollen schaukelten auf den sanften Wellen.
Die Gegend hatte wirklich ihren Reiz, das konnte ich nicht anders behaupten. Obwohl ich vor Jahren einmal auf der Insel gewesen war, um die Satanszwerge zu jagen, war mir diese Fahrt von damals nicht mehr in der Erinnerung geblieben. Jetzt empfand ich die Reise auf die Insel einfach als völlig neu.
Wir hatten Winter. Es war kalt. Der Himmel lag nicht klar über den Gleisen, sondern sah eher aus wie eine schraffierte, ins Unendliche hineinstoßende Schiefertafel, die zugleich als Versteck für einen fahlen Sonnenball diente, von dem nicht mehr als eine verschwommene Kugel zu sehen war.
Die Insel war bereits zu sehen. Ein flacher, dunklerer Schatten, der sich vom Wasser abhob und dem Ankömmling einen zweiten Gruß zusandte, denn ich sah einen kantigen Kirchturm, der sich in die Luft reckte.
Es war die Kirche von Keitum, wie ich inzwischen wußte, denn ich hatte etwas über die Insel gelesen. Dort würde ich nicht aussteigen, sondern erst in Westerland, dem größten Ort der Insel, wo mich Freund Harry Stahl erwartete.
Er hatte Schwierigkeiten, das wußte ich. Sonst hätte er mich nicht alarmiert. Oft genug hatten wir auf diese Art und Weise zusammengearbeitet, und bisher waren wir immer in lebensbedrohliche Situationen geraten.
Um was es im einzelnen ging, wußte ich nicht, aber es hatte direkt mit der Insel zu tun, womöglich auch mit deren Vergangenheit, wie Harry vermutete. Und es waren drei Menschen spurlos verschwunden. Man hatte sie gesucht und nichts von ihnen gefunden. Als wären sie vom Strandsand verschluckt worden.
Durch mein frühes Eintreffen hatte ich einige Stunden gewonnen. Jetzt schaute ich zu, wie der Zug in den kleinen Keitumer Bahnhof einfuhr und stoppte. Hier in Keitum würden wir wohnen, das Zimmer im Insel-Hotel war für mich bestellt, aber ich mußte weiter bis Westerland. Wenig später rollten wir an einem der stehenden Autozüge vorbei. Sie stellten eine besondere Verbindung zwischen dem Festland und der Insel dar. Sie brachten nicht nur die Ströme der Autotouristen, sondern auch Lebensmittel und andere Waren auf die Insel.
Vorurteile hegte ich gegen die Insel nicht. Natürlich hatte es sich auch bis nach London herumgesprochen, daß in Kampen die Post abging. Wo sich die Reichen, die Neureichen und solche, die versuchten, dazuzugehören, ein Stelldichein gaben und den Champagner fließen ließen. Das gab es, aber das war nur die eine Seite der Insel.
Es existierte noch eine zweite, in der Champagner und viel Geld keine Rolle spielten. Das waren die ruhigen Ecken und Strandabschnitte, an denen man seine Ruhe hatte. Stundenlange Spaziergänge in einer wunderbaren Luft gehörten ebenso dazu wie die geführten Dünenwanderungen oder die Einsamkeit der Dünen im südlichen Teil von Sylt.
Wer die Insel nur mit Westerland, Wenningstedt oder Kampen verglich, der hatte noch nicht alles gesehen. Ich war davon unbelastet, zudem hielt sich der touristische Rummel im Winter in Grenzen, aber daß wir vom Leben draußen nicht weit entfernt waren, las ich an den zahlreichen Reklametafeln ab, die rechts und links der Bahnkörper standen und den direkten Weg in den Westerland er Bahnhof zierten.
Zwar hatten wir Winter, aber es war noch nicht so kalt, als daß die
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