Das Urzeit-Monstrum
Aschenbecher.
Beckmann beugte sich vor und spie den Speichelklumpen in den Aschenbecher.
Nun konnte ihn sich Beckmann ansehen. Ein Klumpen Speichel…
Tatsächlich Speichel?
Nein, so sah kein Speichel aus. Nicht so dick und gelb, dazu von grünen Schlieren durchzogen, in einer Farbe, wie er sie auch auf seinem letzten Monsterbild oben im Atelier geschaffen hatte.
Er schüttelte sich und drehte weg. Etwas war mit ihm geschehen, etwas geschah mit ihm noch, und er versuchte wieder, sich die Ereignisse der vergangenen Nacht zurückzuholen.
Nein, dachte Beckmann, ich muß noch weiter zurückdenken. Die Nacht nicht, es war der Abend. Nur er zählte, denn dort war es geschehen. Da hatte es begonnen.
Scharf stieß er die Luft aus. Plötzlich drehte sich alles vor seinen Augen, und er selbst kam sich vor wie ein Klumpen, der durchgeschüttelt wurde.
Es dauerte eine Weile, bis Boris es schaffte, die Gedanken wieder auf den vergangenen Abend zu richten.
Genau da war es geschehen.
Da hatte er die Botschaft erfahren.
Nicht durch einen Anruf oder durch einen Brief, nein, plötzlich hatte er genau gewußt, was zu tun war. Zur Tür gehen, sie öffnen, um IHN einzulassen.
ICH BIN DU, UND DU BIST ICH!
So hatte man es ihm gesagt, und er hatte den, der wie er war, in das Haus hereingelassen.
Keinen Menschen, auch kein Tier. Es war eine Kreatur gewesen, die von ihm geschaffen worden und auf seinem letzten Bild zu betrachten gewesen war. Ein Geschöpf der Phantasie, das mußte er immer wiederholen, das es aber trotzdem gab, sonst hätte er es nicht ins Haus gelassen.
Er nickte. Die Lösung war nah. Es mußte ihm nur noch gelingen, sie in die richtige Gedankenfolge zu fassen, was ihm auch gelang und worüber er sich freute.
Wenn er richtig nachdachte, dann war das Geschöpf zwar eine Neufassung, tatsächlich aber hatte es dieses schon gegeben. Früher einmal, vor langer Zeit. Nur war seine Erinnerung daran verschüttet gewesen, und sie kehrte erst jetzt scheibchenweise zurück.
In seiner Malwut hatte er sie bereits erlebt. Das Bild auf der Leinwand sprach Bände. Und er hatte sich auch in dem Auge des Monstrums selbst gesehen.
Also war er ein Stück von ihm, und umgekehrt paßte der Schuh ebenfalls.
Allmählich brachte er Licht in das Dunkel, auch wenn er die genauen Zusammenhänge noch nicht kannte, aber dieses letzte Dunkel würde sich auch lichten, davon war er überzeugt.
Boris Beckmann war sechsunddreißig Jahre alt. Er existierte noch nicht lange auf dieser Welt und hatte mit Monstren, wie er sie malte, nie etwas zu tun gehabt.
Für ihn waren sie bisher auch nur Phantasiegeschöpfe gewesen, aber es existierte eine Verbindung zwischen der Phantasie und der Realität, auch wenn diese weit zurücklag.
Wie weit? In einem anderen Leben etwa? Möglich. Alles war möglich.
Boris schloß nichts mehr aus. Er war auch bereit, sich damit abzufinden, wobei er das letzte im Spiegel kontrollieren wollte.
Bisher war er davor zurückgeschreckt. Er hatte sich bewußt nicht ansehen wollen, nun aber schlug er den Weg zum Badezimmer ein, und wieder ging er dabei mit den langsamen und schleppenden Schritten, als würde er etwas hinter sich herziehen, das unsichtbar war und selbst an einem unsichtbaren Faden hing.
Jeder Schritt bereitete ihm große Mühe. Er keuchte dabei. Er stöhnte. Er fühlte sich so schlapp, und er verfluchte dabei die andere, unbekannte Person, die ihn in den Krallen hielt und leitete.
Die Tür zum Bad stieß er mit der rechten Schulter auf. Es war eine normale Bewegung, oft geübt, aber diesmal kam sie ihm anders vor.
Zwar drückte er die Tür auf, aber er hatte den Eindruck, als federte in seiner Schulter etwas zurück. Ein wenig verwirrt blieb Beckmann auf der Schwelle stehen. Er legte seine linke Hand auf die rechte Schulter, wobei er mit den Fingern zudrückte und abermals mit einem Phänomen konfrontiert wurde.
Seine Schulter und seine Finger waren irgendwie weich geworden und von der normalen Kraft weit entfernt. Wie Teig, der die Stelle von Haut, Knochen und Muskeln angenommen hatte.
Und dieser Teig steckte auch in seinen Beinen. Wenn er stand, da schienen die Füße am Boden zu kleben. Nur mühsam gelang es ihm, sie wieder in die Höhe zu ziehen.
Mit fremd anmutenden Schritten bewegte er sich durch das Badezimmer auf den Spiegel zu. Bewußt hielt er den Kopf zur Seite gedreht. So lange wie möglich wollte Boris seinen eigenen Anblick hinauszögern. Als er endlich vor dem Spiegel stand, schloß
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