Das Urzeit-Monstrum
über ihn hinwegführte. Er stieß am Wasser auf den Wanderweg.
Das Watt konnten wir längst sehen. Wir behielten es auch im Auge. Es hob sich von der Dunkelheit etwas ab und lag vor uns wie eine düstere, leicht glänzende Spiegelfläche, die sich hin und wieder durch einen Windstoß bewegte.
Leider lag es unter keinem Flutlichtstrahler, so daß jemand, der sich dort aufhielt, nur schwerlich zu erkennen war. Es gab auch keine Lampen, die den Weg erhellt hätten, und bis auf das leise Gluckern des Wassers war es dort unten still.
Aber er würde sich da aufhalten. Davon waren wir überzeugt. Auf dem Rand des Deichs blieben wir stehen. Diese Höhe bot uns einen relativ guten Ausblick in die nähere Umgebung, aber einen am Watt entlanggehenden Menschen sahen wir nicht.
»Komm, wir suchen unten!« flüsterte mir Harry zu. »Da sind die Chancen wesentlich größer.«
Sein Vorschlag fiel bei mir auf fruchtbaren Boden. Den Pfad konnten wir normal hinabgehen, auch wenn er einige Buckel aufwies, über die wir hinwegsprangen.
Harry hatte mich überholt. Er wartete auf mich, und seine Haltung zeigte an, unter welcher Spannung er litt. Als ich neben ihm stand, hob er die Schultern. »Jetzt können wir uns eigentlich aussuchen, wohin wir gehen sollen. Nach rechts oder nach links?«
»Darf ich dich trotzdem fragen, was dein Gefühl sagt?«
»Du bist gut, John. Eigentlich nichts, komischerweise.«
»Wo genau hast du denn gestanden, als dieses Monstrum aus den Fluten stieg?«
»Fluten ist gut«, murmelte er. »Es war ungefähr an dieser Stelle. Aber im Dunkeln sieht eben alles anders aus. Was willst du machen?«
»Hast du eine Lampe bei dir?«
»Ja, schon, warum?«
»Wir könnten uns trennen. Wenn wir die Lampen einschalten, verlieren wir uns nicht aus den Augen und…«
Blitzschnell griff Harry Stahl zu. Er umklammerte meinen Oberarm, und das tat er nicht grundlos, denn im selben Augenblick spürte auch ich das Vibrieren unter meinen Füßen und glaubte auch, das leise Grollen zu hören.
»Verdammt, John, es geht los…«
***
Boris Beckmann hatte sein Leben zwar als angenehm, aber nie als überirdisch toll empfunden. Doch an diesem frühen Abend trat eine Änderung ein. Er hatte das Haus kaum verlassen, da riß etwas in seiner Seele auseinander. Plötzlich freute er sich über den großen Schritt in ein neues Dasein, den er gewagt hatte. Er fühlte sich richtig glücklich. Er war mit sich und der neuen, vor ihm liegenden Zeit zufrieden und konnte es kaum erwarten, den Punkt zu erreichen, wo eine für ihn noch radikalere Änderung eintreten würde.
So schnell es ging, bewegte er sich fort. Er konnte nicht mehr normal laufen. Wenn er ging, dann schwankte sein unförmig gewordener Körper, und die Augen schwammen in seinem Kopf hin und her, und in seinem Innern fühlte und dachte er immer mehr mit der Seele eines anderen.
Eben mit dem Monstrum aus der Urzeit, dem er sich so verbunden fühlte. Stärker als je zuvor. All seine Phantasien, die er auf die Leinwände gebracht hatte, waren nichts gegenüber dem, was er nun erlebte. Die Malereien hatten einzig und allein als Vorbereitungen gedient, um dieses eine Ziel zu erreichen.
Er war gut.
Er freute sich.
Es gab keine Hindernisse mehr, und er sah das Watt als seine eigentliche Heimat an, als er seine Blicke über die hellere Fläche streifen ließ. Es war wie ein Wunder, in das er hineintauchte, und so wuchtete er seinen Körper Meter für Meter voran.
Boris erreichte die Deichkante, wo er nicht stehenblieb. Er hatte auch keinen Weg gesucht, sondern rollte sich die Schräge hinab, um dann auf dem gefrorenen Boden liegen zu bleiben und abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden.
Er war allein – noch. Aber er würde nicht lange allein bleiben. Das Urzeit-Monstrum wartete auf ihn, es befand sich in der Nähe, er mußte es nur finden.
Er hörte es bereits.
Gedanken erreichten ihn, sie strömten durch seinen Kopf. Sie waren eine Lockung und ein Befehl zugleich.
KOMM! KOMM ZU MIR! KOMM HER! ICH WARTE AUF DICH! KOMM IN DAS WASSER!
Das war die Botschaft, auf die er gewartet hatte. Beckmann rollte sich zur Seite, denn nur so bekam er seinen massigen Körper besser in die Höhe. Auf seinen dicken, weichen Beinen blieb er zunächst stehen, während er auf das Watt hinausschaute, weil er herausfinden wollte, ob sich dort etwas tat. Noch nicht…
Aber die Botschaft war da. Er hatte sie verstanden, und er setzte sich in Bewegung.
Der mutierte Maler mußte schon
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