Das Urzeit-Monstrum
weiter. Er wollte mich, der Krake wollte mich, und ich schaffte es dann mit einem heftigen Ruck mich aufzusetzen. Die Pistole hatte ich wieder eingesteckt. Meine Hände waren frei. Ich wuchtete den Oberkörper nach vorn, um mit den ausgestreckten Händen den verdammten Fangarm zu umklammern, der mir wenigstens etwas Halt geben sollte. Durch das heftige Zerren spritzte das flache Wasser vor mir hoch und nahm mir einen Großteil der Sicht. Ich war nur bemüht mich so zu halten, und ich kam immer näher an den Körper des Kraken heran, wobei die anderen freien Arme mich umpeitschten. Sie hieben immer wieder in das flache Wasser hinein, als wollten sie durcheinander wühlen.
Aus den mich umgebenden Geräuschen hörte ich das Gebrüll des Malers. Er war glücklich, das war zu hören. »Ich bin in einer anderen Welt. Mein neues altes Leben hat begonnen. Ja, ja, ja…«
Was er damit meinte, bekam ich wenig später zu sehen, denn mit einer leicht vorkommenden Bewegung wurde ich angehoben und schwebte plötzlich über dem Wasser, wobei es mich zu einem lebendigen Eisklumpen gemacht hatte.
Ich sah den Körper des Kraken. Ein großes, zuckendes, widerliches Etwas. Bestehend aus Haut und Schleim, aber auch einer Öffnung an der Vorderseite, einem großen Loch. Es konnte ein Auge sein, aber auch ein Maul, so genau war es nicht zu erkennen. Nur eines stand fest: Dieses Loch war gefräßig. Es war gierig. Es wollte eine Beute haben, und es hatte bereits eine bekommen, denn der Maler Boris Beckmann steckte bereits bis zu den Hüften in dieser Schleimöffnung und starrte mich an.
Plötzlich stand der Arm still. Ich hing noch als Gefangener in ihm und wunderte mich nicht mehr darüber, daß ich nicht kippte, denn an meinem Rücken spürte ich den Druck des zweiten Arms, der mich wie eine Stuhllehne hielt.
Es hatte niemand ein Licht eingeschaltet. Es war grau, es war düster, aber die Entfernung zwischen Beckmann und mir war nicht so groß, als daß ich nichts hätte erkennen können.
Im Maul des Kraken steckte möglicherweise ein Mensch. Wenn ja, dann war er nicht mehr zu retten, denn er war dabei, zu einem Krakenmonster zu mutieren, das heißt, seine alte schleimige Gestalt schob sich immer deutlicher hervor.
Meine Annahme sah ich bestätigt.
Der Maler Boris Beckmann war in Wirklichkeit eine Kreatur der Finsternis…
***
Das überraschte mich nicht mal. Trotz meiner gefährlichen Lage war die Neugierde in mir nicht gestillt, denn ich wollte wissen, wie es dazu gekommen war. »Wer bist du?« rief ich ihm zu. »Wer bist du gewesen?« präzisierte ich meine nächste Frage.
»Ich bin alt!« keuchte er mir entgegen. Seine Worte waren nur schwer zu verstehen. »Ich bin ein Urzeit-Monstrum. Ich bin uralt. Ich habe es nur vergessen. Es ist verschüttet gewesen, aber jetzt weiß ich, daß ich damals als Krake gelebt habe. Damals, in der Urzeit, als es noch keine Menschen gab. Ich habe mich als Krake gesehen, die Erinnerung war da. Ich bin durch diese Welt getrieben, und ich habe überlebt. Aber die alten Keime waren vorhanden. Ich spürte immer mehr, daß meine Bilder keine reinen Phantasiegestalten waren, sondern aus den Tiefen der Erinnerung hervorkamen. Ich habe mich wieder an die Zeit als Krake erinnert, und ich werde wieder in sie hineintauchen.«
»Wenn du der Krake bist, was ist er?«
»Auch einer, der immer war. Der sich in den Tiefen unter dem Meer verborgen gehalten hat, der überlebte und warten konnte, bis ich in seine Nähe geriet. Er ist noch die wahre Kreatur, so wie ich sie einmal gewesen bin. Er hat sich nicht zu verändern, sondern nur zu verstecken brauchen. Ich war früher mit ihm zusammen, und nun werde ich in ihn hineingehen, denn ich bin er, und er ist ich. Wir sind gleich, wir werden immer so bleiben. Wir gehören zusammen. Ein jeder ist auch ein Stück des anderen, denn wir haben uns gesucht und gefunden.«
Das glaubte ich ihm, denn ich kannte die Kreaturen der Finsternis. Sie schafften es immer wieder, sich zu verstecken, aber irgendwann drang ihre wahre Natur durch. In diesem Fall war es die eines Kraken. Ich hatte sie auch schon anders erlebt. Als furchtbare Tiermutationen.
Mischungen aus angsteinflößenden Geschöpfen, wie sie sonst nur in der Phantasie eines nicht normalen Menschen entstehen konnten.
»Ich gehe wieder zurück!« schrie er mir entgegen. »Und ich werde dich mitnehmen!«
Er verwandelte sich immer mehr. Bei jedem Wort, das er mir entgegenschleuderte, schritt diese Verwandlung
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