Das Vampir-Pendel
hinauswuchsen und Jagd nach dem Bösen machten. Sie wollten es einfangen, sie wollten es auch vernichten, und so suchten sie nach denjenigen Personen, die dem Grafen nahegestanden hatten.«
»So fanden sie Zunita?«
»Ja.«
»Was taten sie mit ihr?«
»Die Menschen errichteten einen Scheiterhaufen und verbrannten die Vampirin, die immer wieder beteuerte, keine zu sein, aber darauf nahm niemand Rücksicht. Tage später, der Aschehaufen war noch vorhanden, ging jemand hin und untersuchte ihn. Ob es Zufall oder gewollt gewesen war, weiß ich nicht. Jedenfalls fand dieser Mann in der Asche einen Stein, der halb so groß war wie eine Hand. Und dieser Stein, er war nicht glatt, zeigte Zunitas Gesicht!«
»Bitte?«
»Ja er zeigte Zunitas Gesicht. Es war versteinert. Es schaute aus dem Stein hervor.«
Juri stöhnte auf. »Das kann ich nicht glauben«, hauchte er. »Das ist ja unmöglich.«
»Nein, Juri, nein. Du wirst dich davon überzeugen können.«
»Ja, darum bitte ich.«
»Lege deine Hände flach auf den Tisch.«
Der Blinde hob sie an. Er spürte unter den Flächen das rauhe Holz, und er ärgerte sich darüber, daß er das Zittern der Finger nicht unterdrücken konnte.
Dann faßte Rangar nach seiner linken Hand. Er hob sie an und führte sie dem Pendel entgegen. »Gleich wirst du merken, daß ich nicht gelogen habe, Juri. Du wirst es nicht sehen, aber du wirst es fühlen können, und du wirst mir recht geben müssen.«
»Ich vertraue dir.«
Juris Hand wurde durch die Fremdeinwirkung gesenkt. Der Blinde stand schon unter einer gewaltigen Spannung und hörte das Klopfen seines Herzens überlaut.
Für einen Moment zuckte er zusammen, als der Kontakt mit dem geheimnisvollen Vampirpendel hergestellt worden war. Sein Hals war plötzlich trocken geworden. Auf der Stirn stand der Schweiß. Er atmete nur mehr durch die Nase ein, dann hatte er den kleinen Schock überwunden und begann damit, den Stein abzutasten.
Er fing außen an.
Rangar ließ ihn in Ruhe. Juri stellte fest, daß dieses ovale Pendel am unteren Rand geschliffen worden war. Das Metall strahlte eine gewisse Kühle aus.
»Nun?« flüsterte der Zigeuner.
»Es stimmt…«
»Ja, es ist das Pendel und zugleich das, was von der Hexe übrigblieb. Taste dich weiter vor. Es gehört dir, du mußt es einfach kennenlernen, denn es wird dich von nun an begleiten. Bitte…«
Juri hatte sich an das Neue gewöhnt. Und sein Tastsinn war sehr gut geworden. Diesmal ertasteten seine Finger eine wellige Stirn, darunter die beiden Augen, in deren Mulden er seine Fingerkuppen legen konnte.
Er spürte die Nase und glitt über den schmalen Rücken hinweg. Dabei stellte Juri fest, daß sie leicht gebogen war.
Darunter fühlte er die Oberlippe, aber nicht lange, denn seine Finger meldeten sehr schnell, daß der Mund nicht geschlossen war.
Er fühlte etwas, und es irritierte ihn.
Juri hörte sich selbst stöhnend atmen, als wollte er nicht wahrhaben, was ihn da irritierte.
Es stimmte.
»Nun?«
»Sind es Zähne?«
»Ja.«
»Und…?«
Der Zigeuner beugte sich vor. »Willst du es aussprechen, oder soll ich es tun?«
»Nein, ich fühle mich stark genug. Es sind lange Zähne, es sind die Zähne eines Vampirs.«
»Ja, sogar einer Vampirin. Du, Juri, hast das Gesicht der verbrannten Schattenfrau ertastet. So ähnlich hat sie einmal ausgesehen, auch wenn ihr Gesicht damals größer gewesen ist. Aber du weißt jetzt Bescheid, daß ich dir ein Vampirpendel zum Geschenk gemacht habe.«
Juri schüttelte den Kopf. »Ich kann es einfach nicht glauben. Das ist ungeheuerlich. Wie soll ich das erklären?«
»Es ist nicht wichtig.«
Der Blinde sank wieder auf dem Stuhl zurück. Dabei rutschte die rechte Hand über die Tischkante hinweg und klatschte auf seinen Oberschenkel. »Warum ist es nicht wichtig?«
»Weil wir Menschen sind, mein guter Freund«, Rangar legte Juri eine Hand auf die Schulter, »die bei gewissen Dingen nicht immer nachfragen, sondern sie einfach hinnehmen sollten. Das ist es doch, was auch einen Teil unserer Größe ausmacht. Nicht immer nach den Gründen fragen, sondern sich eingestehen, daß es Mächte gibt, die uns über sind. Diese Macht ist in dem Pendel, das ich dir zum Geschenk gemacht habe, auf daß du es verantwortlich einsetzt oder weitergibst.«
Juri wartete mit seiner Antwort. »Einsetzt? Nein, Rangar. Ich bin blind. Ich werde es nicht einsetzen können. Ich werde es wohl weitergeben müssen.«
»Das ist nicht mehr mein
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