Das Vampir-Pendel
Lager aufgeschlagen hatten. In einer der folgenden Nächte sollte es dann geschehen.
Juri, der genug gehört hatte, zog sich zurück. Er war den Männern nicht aufgefallen und holte tief Luft, als er vor der Tür stand. In dieser Umgebung konnte er sich auch als blinder Mensch bewegen, er war hier zu Hause, und er hatte genügend Freunde, die ihm zur Seite standen, wenn er mal seine Hütte verlassen hatte.
Es war ein weiter Weg bis zu ihr. Als Blinder hätte er eigentlich nicht so menschenscheu wohnen dürfen, doch darum kümmerte er sich nicht.
Die Hütte und deren Umgebung waren seine Heimat gewesen. Lange Zeit hatte er als Köhler gearbeitet und damit sein weniges Geld verdient.
Doch eines Tages waren die marodierenden Soldaten des letzten Diktators in den Wald eingefallen und hatten sich seine Hütte als Ziel ausgesucht. Nicht grundlos, denn Juri hielt dort einen jungen Mann versteckt, der den Schergen des Diktators entwischt war, obwohl man ihn zum Tode verurteilt hatte.
Die Soldaten hatten einen Tip bekommen, den Mann gefunden, ihn gefoltert und letztendlich getötet.
Dann war Juri an der Reihe gewesen. Eigentlich hatte er mit seinem Tod gerechnet, die Soldaten waren auch sehr grausam gewesen. Sie hatten ihm die Augen ausgestochen, und daß Juri dies überlebt hatte, sah er noch heute als ein Wunder an.
Er hatte sich mit seiner Blindheit abfinden müssen und sich auch daran gewöhnt. Zudem galt er bei anderen Menschen als Held.
Dem fahrenden Volk erging es ebenfalls nicht besonders gut.
Auch nach den Zeiten des Diktators wollte man es aus dem Land haben, was Menschen wie Juri, die sehr liberal dachten, nicht begriffen. Deshalb hatte er sich auch fest vorgenommen, die Männer, Frauen und Kinder zu warnen, damit sie die Konsequenzen zogen.
So machte sich Juri auf den Weg zu ihrem Lager. Nicht allein, auch nicht zu Fuß.
Er hatte einen Freund, einen Bauern gefunden, der ihn auf seinem Wagen mitnahm, der von einem alten Gaul gezogen wurde. Der Bauer wollte ihn bis in die Nähe des Lagers bringen. Von dort würde sich Juri allein zurechtfinden.
Als er abgesetzt worden war, roch er bereits das Feuer. Er bedankte sich noch einmal und wandte sich nach links. Weg vom Weg, als Blinder durch das Land gehend, das sich ihm öffnete, ihm fremd war, in dem er sich aber trotz allem zurechtfand.
Juri blieb stehen, als er sich dem Lager auf eine bestimmte Entfernung hin genähert hatte. Seine Rufe wurden gehört. Schon bald vernahm er die Tritte, und wenig später standen zwei Männer neben ihn, die ihn an den Armen festhielten.
Sie kannten ihn.
»Du, Juri?«
»Ja.«
»Was ist mit dir?«
»Ich mußte kommen, denn ich will euch warnen.«
»Vor wem?«
»Das sage ich dem Stammesältesten. Ist er hier?«
»Sicher.«
»Bringt mich zu ihm.«
Da die Männer Juri kannten, wußten sie auch, wie er ihnen gegenüberstand. Er war ein Freund des fahrenden Volkes, und auch ihr Chef oder König kannte den Blinden.
Man führte ihn in den Wagen des alten Mannes, der dabei war, seine Suppe zu löffeln, wie Juri hörte. »Setzt ihn mir gegenüber«, sagte der Esser zu Juris Begleiter, »und dann laßt uns allein.«
»Ja, Rangar.«
Der Blinde nahm Platz. Er wartete, bis die Tür des Wagens von außen geschlossen war, hörte noch, wie ein Löffel über den Teller kratzte und er dann zur Seite geschoben wurde.
»So, Juri, nun können wir reden. Darf ich dich fragen, um was es geht?«
»Um euch.«
»Oh – nicht um dich?«
»Nein, ich habe mich an alles gewöhnt. Es geht mir sogar recht gut, aber du solltest mir, dem Blinden, zuhören, denn eure Zukunft könnte von meinen Worten abhängen.«
»Sprich bitte.«
In den folgenden Minuten erfuhr Rangar alles, was auch Juri wußte, und er unterbrach den Blinden mit keiner Frage. Erst als dieser nichts sagte, übernahm Rangar das Wort.
»Ich und alle anderen sind dir zu großem Dank verpflichtet, daß du zu uns gekommen bist und uns gewarnt hast. Ich weiß nicht, wie man es wieder gutmachen kann, aber…«
»Nein, nein, Rangar, du brauchst nichts gutzumachen. Es ist meine Menschenpflicht gewesen.«
»So denken leider nicht alle«, sagte der Zigeuner leise.
»Die Zeiten werden sich bestimmt ändern.«
Rangar holte tief Luft. »Ja, das denken viele oder haben viele gedacht, als die neue Zeit anbrach. Aber ich kann es nicht glauben, es tut mir leid, denn ich habe immer wieder das Gegenteil von dem erleben müssen. Man will uns nicht haben, man jagt uns weiter, und so werden
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