Das verborgene Feuer
wachsam. Beatrice fand, er glich den Büsten römischer Generäle, die sie im Museum gesehen hatte. Und er sah aus, als sei er gerade von einem Feldzug zurück.
»Niemand zieht für einen Bauern in den Krieg.«
Er blieb vor ihr stehen, und schon Sekunden später war es vorbei mit seiner Distanziertheit: Er zog sie vom Boden hoch, umarmte sie, drückte sie an die Brust, schmiegte das Gesicht an ihren Hals und atmete tief ihren Duft ein. Die Arme hatte er fast wie einen Schraubstock um sie geschlungen und hielt mit einer Hand ihren Kopf sanft umfangen.
Tränen traten ihr in die Augen; einerseits wollte sie ihn umarmen, ihn andererseits aber auch schlagen. So stand sie verwirrt und reglos in seinen Armen da.
Er hielt sie noch kurz fest, doch ihm konnte nicht entgangen sein, dass sie seine Umarmung nicht erwiderte. Also trat er einen Schritt zurück, strich ihr das Haar aus der Stirn, wischte ihr die Tränen von den Wangen und musterte sie von Kopf bis Fuß, während Beatrice die langsam heilenden Brandwunden auf seiner Brust anstarrte.
»Es war kein Problem, hierherzukommen, Gio«, hörte sie Carwyn murmeln. »Alles lief nach Plan.«
Giovanni nickte, ohne den Blick von ihr zu nehmen, und wies auf die kleine Frau hinter sich. »Beatrice, das ist Tenzin. Sie fliegt dich auf das Boot; Carwyn und ich schwimmen dorthin. Ist dieser Vorschlag annehmbar?«, fragte er leise.
Sie warf der kleinen Frau, die eher einem Mädchen glich, einen raschen Blick zu. Tenzin hatte ein freundliches Lächeln, doch hinter ihren Lippen waren geschwungene Fänge zu ahnen. Beatrice sah sich kurz zu Carwyn um, und als er beruhigend nickte, streckte sie ihr die Hand entgegen.
»Hey, ich bin B.«
»Schön, dich kennenzulernen. Ich hab schon viel von dir gehört.« Tenzin ergriff ihre Hand, und Beatrice spürte zarte, kühle Haut, die sich kaum wärmer anfühlte als die Lorenzos.
»Die Freude ist ganz meinerseits. Danke, dass Sie bei meiner Befreiung geholfen haben.«
»Es war mir ein Vergnügen.« Tenzin grinste, und Beatrice kam nicht umhin, das eingetrocknete Blut auf ihrer Bluse zu bemerken, was Tenzin nur die Achseln zucken ließ.
Beatrice sah blinzelnd auf das Meer hinaus. »Sie können mich zum Boot bringen?«
»Halt dich einfach an meiner Hand fest – der Wind trägt uns hin.«
Ein kleines Lächeln huschte über Beatrices Gesicht. »Im Ernst?«
»Im Ernst. Lass uns verschwinden. Es ist feucht.«
Beatrice nickte und wollte sich nach Carwyn umsehen, doch Giovannis brennende Augen fingen ihren Blick ein.
Er stand in Habachtstellung da und starrte sie mit hinter dem Rücken verschränkten Armen und gestrafften Schultern an. Plötzlich hatte sie den entwaffnenden Eindruck, es sei an ihr, ihm Befehle zu geben, und in seine grünen Augen trat ein undurchdringlicher Ausdruck.
»Sobald du bereit bist, Beatrice.«
Sie reichte Tenzin die Hand.
»Also los.«
23
Über dem Atlantik
Juli 2004
Giovanni beobachtete sie im Schlaf und genoss die letzten Momente der Ruhe, bevor sie zornig und streitlustig erwachen würde.
Er sah sich in der edlen Kabine des Flugzeugs um, das er Lorenzo gestohlen hatte. Die Wochen, die er in Rom damit verbracht hatte, die alten Vampire an Livias Hof zu bearbeiten, und die notwendigen Manöver in Athen mochten unerträglich gewesen sein, doch letztlich hatten sie ihm eingebracht, was er gewollt hatte – und obendrein noch ein paar unerwartete Zugaben.
Er rückte näher zu ihr, denn er befürchtete, sie würde beim Aufwachen ihre Gefangenschaft bei dem Verrückten, den er erst zum Vampir gemacht hatte, aufs Neue durchleben. Sie hatte sich die meiste Zeit geweigert, mit ihm zu reden, und sich überwiegend mittels Carwyn und Tenzin mit ihm verständigt. Zu sagen, das habe ihm nichts ausgemacht, wäre falsch gewesen, obwohl er nach seinem vermeintlichen Verrat nichts anderes erwartet hatte.
Er strich ihr auf eine Weise durchs Haar, die sie sich im wachen Zustand sicher verbeten hätte. Vor der Abreise aus Griechenland war er nicht mehr zum Jagen gekommen, und doch beugte er sich tiefer herab und atmete trotz des zunehmenden Brennens in der Kehle ihren herrlichen Geruch ein.
Er fürchtete ihren Zorn, wenn sie aufwachen und merken würde, dass sie nicht in Houston war, denn als es nicht in die USA zurückgehen sollte, hatte sie ihn angeschrien und sich geweigert, das Flugzeug zu betreten.
»Ich will nach Hause. Ich will nicht mit meiner Großmutter telefonieren – ich will sie sehen. Ich will nach
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