Das verborgene Feuer
sie in der Luft inne und schaute ihm in die Augen.
»Los! Such ihn«, rief sie, packte zwei Vampire am Hals und schwenkte sie im Kreis herum, bis die Körper sich vom Kopf lösten und in hohem Bogen ins Meer segelten. Obwohl ihre Angreifer alle größer waren als sie, war noch kein Vampir Tenzin im Gefecht ebenbürtig gewesen, und Giovanni war sich sicher, dass sie die wenigen Wächter, die noch zur Verteidigung der Festung entschlossen waren, besiegen würde.
»Los!«, rief sie erneut. »Sonst entkommt er!«
Nickend verschwand er in den Flur und sog an einer Abzweigung witternd die feuchte Luft ein. Sein Weg führte ihn durch gewundene Gänge, bis er das Meer wieder roch. Als er an der schweren Tür horchte, an der Lorenzos Geruch endete, hörte er einen Bootsmotor aufheulen. Er wollte die Tür aufdrücken und wunderte sich, als sie nicht nachgab.
Des Rätsels Lösung war das durch die Ritzen leckende Meerwasser. Lorenzo hatte es hier offenbar ansteigen lassen, sodass es mit enormem Gewicht gegen die Tür drückte. Also musste sich in den Höhlen eine Lagune befinden, die auf das offene Meer hinausführte.
Da sein Sohn längst geflohen wäre, ehe er sich durch den Fels gearbeitet hätte, hetzte Giovanni wieder auf die Klippen hoch.
»Er hat ein Boot, Tenzin!«, rief er.
Sie schlug die Fänge in einen weiteren Hals, löste ihren blutigen Mund aber rasch wieder von der Kehle ihres Gegners.
Als sie Giovanni auf den Klippenrand zulaufen sah, setzte auch sie sich dorthin in Bewegung.
»Fang mich auf!«, rief er und schwang sich über die Klippe hinweg.
Sie segelte abwärts, packte ihn an der Taille, schlang die Beine um seine Schenkel, flog mit ihm an den Fuß der Klippen und suchte eine Felsspalte, durch die ein Boot zu entkommen vermochte.
»Das könnte überall sein«, rief sie. Giovanni spürte, wie viel Mühe es sie kostete, die Luft ringsum so strömen zu lassen, dass sie sie beide trug.
»Nein, Klippen gibt es nur an der Südküste.«
Sein Blick wanderte über die dunklen Felswände und suchte nach der verräterischen Gischt eines Bootes.
Er hörte es, bevor er es sah – das schwarze Fahrzeug schoss aus einer kleinen Höhle, doch seine Oberfläche tarnte es auf dem dunklen Meer. Giovannis Ohren folgten dem Geräusch, bis sein Blick auf das weiße, aufgewühlte Kielwasser traf. Da freilich hatte das Boot die Bucht schon verlassen und hielt mit hohem Tempo auf das offene Meer zu.
»Schneller!«
»Ich versuch es ja! Hätte ich gewusst, dass ich heute noch so niedrig fliegen muss, hätte ich mich an einem Menschen gütlich getan.«
Je niedriger Tenzin nämlich flog, desto mehr Energie brauchte sie, um sie beide in der Luft zu halten.
»Bring mich einfach näher ran!«, rief er. »Ich versuche dann, das Boot anzuhalten.«
Er wollte Flammen aus Händen und Armen schlagen lassen, doch die Meeresluft war feucht und schwer und ließ jeden Funken erlöschen.
»He!«
Er knurrte, als Tenzin plötzlich zu fliegen aufhörte, beruhigte sich aber, als sie ein Feuerzeug aus der Tasche zog. Er ließ die Flamme zu einem stattlichen Feuerball anschwellen, während sie wieder Tempo aufnahmen und dem rasch entschwindenden Boot nachjagten.
»Wir schaffen es nicht, ihn einzuholen, Gio.«
»Oh doch!«
Das Kielwasser entfernte sich immer weiter.
»Schneller, Tenzin.«
»Gio –«
»Los doch!«
»Wir können ihn nicht einholen, mein Junge«, rief sie über den Fahrtwind hinweg.
Er brüllte alle alten Flüche, die er kannte.
»Schieß deinen Feuerball ab. Versuch, das Boot zu treffen.«
»Ich bin zu weit weg.«
»Dann ziel besser!«
Er kniff die Augen zusammen, konzentrierte sich auf das kleine Boot in der Ferne und zielte auf Lorenzos weißes Hemd, das er kaum mehr flattern sah. Mit einem enormen Schrei schleuderte Giovanni seinem Sohn den Feuerball nach und merkte, dass Tenzin nicht mehr flog, sondern die Hände ausgebreitet hatte, um den Flammen Rückenwind zu geben.
Der Feuerball wurde immer größer und schneller und traf schließlich sein Ziel. Giovanni hörte Lorenzo aufbrüllen, bevor die Flammen ihn umgaben, und sah die Kleidung seines Sohnes Feuer fangen und sein Haar auflodern und beobachtete, wie Lorenzos Haut langsam schwarz wurde.
Das Boot raste noch immer über das Wasser, doch der Vampir stolperte an die Reling, stürzte sich ins Meer und versank in den Wellen.
Weil Giovanni spürte, wie Tenzin vor Erschöpfung an Höhe verlor, biss er sich ins Handgelenk und hielt es ihr hin, damit sie
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