Das verborgene Feuer
lautes Schreien aus dem Wohnzimmer.
»Verdammter Mist, das hab ich nicht kommen sehen!«
»Nimm den Klappstuhl – der steht nicht umsonst in der Ecke!«
Beatrice bekam große Augen, als sie die Männer brüllen hörte. Applaus brandete auf.
»Das ist nicht –«, begann sie.
»Oh doch«, erwiderte Caspar nickend. »Es ist genau das, was Sie denken.«
»Großer Gott«, murmelte sie. »Cas, damit haben Sie mir den Knüller des Jahres beschert.«
Beatrice ging lautlos ins Wohnzimmer und war plötzlich froh, Ballerinas zu tragen. Sie näherte sich den beiden Vampiren, die Fernsehen schauten und zusammen schon über tausend Jahre gelebt hatten, und achtete darauf, nicht zu dicht an sie heranzugehen, damit sie sie nicht witterten.
Giovanni trug wie üblich einen grauen Pullover und eine schwarze Hose, Carwyn dagegen ein schreiendes, mit einer hässlichen Maske bedrucktes T-Shirt. Sie waren ganz in das Spektakel auf dem Bildschirm vertieft. Genau in diesem Moment wurde die Menge wild, und beide Vampire sprangen schreiend auf.
»Gib auf, du Vollidiot!«
»Setz dich auf den verdammten Klappstuhl!«
Beatrice konnte kaum glauben, welche Munition ihr hier in die Hände gegeben worden war.
»Hallo, Jungs.«
Beide fuhren herum, als sie die leise Stimme hinter sich hörten. Carwyn grinste.
»Hallo, B! Nehmen Sie sich ein Bier – Sie kommen gerade rechtzeitig. Der Hauptkampf findet nach dieser Partie statt.«
Falls das möglich war, sah Giovanni noch blasser aus als sonst. »Beatrice, das ist – sind Sie heute Abend zur Arbeit eingeteilt?« Er kratzte sich in offensichtlichem Missbehagen den Nacken.
»Nein. Ich will bloß einige Bibliotheksbücher abholen, die ich gestern vergessen habe.« Sie lächelte zufrieden, während er sich wand. Dieses Erlebnis war unbezahlbar.
Er starrte sie weiter sprachlos und ziemlich verlegen an, bis die Menge losbrüllte und Carwyn erneut aufschrie. Giovanni fuhr herum, um zu sehen, was auf dem Bildschirm geschah.
»Endlich. Verdammt, Gio – sie entscheiden sich immer für den Klappstuhl.«
»Natürlich. Die Klappstühle stehen nicht ohne Grund da – das sind keine Requisiten.«
Kopfschüttelnd näherte sie sich von hinten dem Sofa. Beide Männer schauten wieder auf die Mattscheibe und waren ganz vertieft in einen Wrestling-Kampf.
»Ist das euer Ernst, Jungs? Profi-Wrestling? Ich hätte auf Bogenschießen oder Fechten getippt. Sogar Fußball…«
»Football!«, riefen beide wie aus einem Munde.
»…wäre keine große Überraschung für mich gewesen, aber das hier?«
Nahezu unbekleidete Frauen waren zu sehen, die um den Ring herumspazierten, und Blitzlichter flammten auf. Ansager riefen mit heiserer Stimme den krönenden Kampf des Abends aus, der nach kurzen Porträts über die beiden Kontrahenten ausgestrahlt werden sollte.
»Der großartigste Sport, der je erfunden wurde«, erklärte Carwyn mit vor Ehrfurcht beinahe flüsternder Stimme und starrte dabei auf den Bildschirm.
»Das ist doch kein Sport!«
Beide drehten sich empört zu ihr um.
»Darum geht es nicht!«, rief Carwyn.
»Wissen Sie, Beatrice«, begann Giovanni, während der Priester den Ton leise drehte, damit sie sich verständigen konnten, »Profi-Wrestling ist die modernste Interpretation einer alten Tradition ritualisierter Wortgefechte. Seit der Zeit, die Homer uns in der
Ilias
überliefert hat, ist das Auftauchen dessen, was schottische Gelehrte als ›Flyting‹ bezeichnen –«
»Ein Wortgefecht, in dem Beleidigungen ausgetauscht werden und das dem eigentlichen Kampf vorausgeht, aber für die Entscheidung, wer Sieger ist, genauso viel zählt wie der Ringkampf«, warf Carwyn ein.
»Genau. In Sagen und Legenden aus aller Welt haben sich Kämpfer in verbale Auseinandersetzungen begeben, die symbolisch so bedeutsam sind, wie der Kampf selbst. Beispiele dafür gibt es in der frühen angelsächsischen Literatur –«
»Sie haben im Englischunterricht sicher
Beowulf
gelesen?«
Giovanni warf dem Priester einen Blick zu und fuhr in hochgelehrtem Ton fort: »
Beowulf
ist nur ein Beispiel für dieses Prinzip, das in der nordischen, keltischen und germanischen Erzähltradition weit verbreitet ist und für das sich sogar in der japanischen und arabischen Literatur viele Belege finden.«
»Genau«, pflichtete Carwyn bei. »Sehen Sie, modernes Profi-Wrestling steht in einer großen epischen Tradition. Egal, ob es inszeniert ist, und auch egal, wer gewinnt –«
»Na ja, ich weiß nichts über –«
»Wichtig
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