Das verborgene Feuer
ist bloß ein Recherchejob, Oma, allerdings ein guter, und ich kann mich über meinen Chef nicht beschweren. Er hat zwar Ansprüche, aber das wusste ich, als ich mich darauf eingelassen habe.«
»Du sagtest, er hat einen interessanten Freund aus Übersee zu Besuch? Wen denn? Auch einen Antiquar?«
Bei dem Gedanken an Carwyn stieg in Beatrice ein Lächeln hoch. Seit ihrer Begegnung hatte der ungewöhnliche Priester sie bezaubert, obwohl sie anfangs nicht gewusst hatte, was sie von ihm halten sollte. Er sah aus, als sei er in seinen Dreißigern in einen Vampir verwandelt worden, besaß aber Persönlichkeit und Humor eines Teenagers. Er trug die hässlichsten Hawaiihemden, die sie je gesehen hatte, schien aber immer noch auf überdurchschnittlich viele Frauen anziehend zu wirken, wenn er mit Giovanni in die Bibliothek kam.
Er war so laut, wie Giovanni schweigsam war, und doch waren die beiden offenkundig miteinander befreundet, und sie bemerkte an dem distanzierten Vampir langsam eine etwas weichere Seite.
»Nein, Carwyn ist kein Antiquar, sondern eine Art Priester. Und Waliser. Ich schätze, er macht jedes Jahr um diese Zeit Urlaub. Die beiden arbeiten wohl gemeinsam an einer Sache.«
»Das klingt doch herrlich. Es ist so schön, Freunde mit gleichen Interessen zu haben.«
Interessen, wie Blut zu trinken, elektronischen Geräten fernzubleiben und Sonnenlicht zu meiden, um nicht knusprig gebraten zu werden,
dachte sie und band ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz.
Dann schnappte sie sich ihre Handtasche und half Isadora ins Auto. Ihre Großmutter simste ihren Freundinnen, dass sie losgefahren seien, und Beatrice nutzte die Stille, um über die vergangene Woche nachzudenken.
Die beiden Vampire hatten an etwas gearbeitet, von dem niemand etwas wissen sollte; dessen war sie sich gewiss. Carwyn war letzten Mittwoch zusammen mit Giovanni in die Bibliothek gekommen, doch sie hatten vor allem miteinander getuschelt und die Abschrift für die geheimnisvolle Tenzin kaum vorangebracht. Als sie dann am Donnerstag zu ihnen kam, hatte sich an der seltsamen Stimmung nichts geändert.
Selbst Caspar wirkte uneingeweiht, und sie hatte keine Ahnung, was die beiden vor jemandem geheim halten mochten, dem sie sonst so sehr zu trauen schienen. Giovanni war früher schon verschlossen gewesen, und Carwyns Ankunft schien diese Neigung noch verstärkt zu haben.
Auch die verschleierten Anspielungen auf ihre Freundin in China entgingen ihr nicht. Sie wusste, dass Tenzin ebenfalls unsterblich und vermutlich seit Jahrhunderten mit ihnen befreundet war, doch wenn ihr Name fiel, waren die beiden Männer stets von einer unguten Vorahnung erfüllt.
»Beatrice – da ist es!«
Sie verdrängte ihre Sorgen, als sie das kleine Restaurant entdeckte, vor dem die drei engsten Freundinnen ihrer Großmutter bereits auf sie warteten. Als sie auf den Parkplatz bog, winkte Isadora ihnen wie ein Schulmädchen zu, und Beatrice lächelte und fragte sich zum tausendsten Mal, warum sie ihrer Großmutter nicht stärker ähnelte, wenn es darum ging, Freundschaften zu schließen.
Beatrice war nicht immer menschenscheu gewesen. Als Mädchen hatte sie viele Freundinnen gehabt. Auch nach dem Tod ihres Vaters war sie ein glückliches Kind gewesen und in der Geborgenheit des Hauses ihrer Großeltern aufgewachsen. Erst in dem Sommer, in dem sie ihren Vater wiedersah, war ihr soziales Leben allmählich zusammengebrochen. Und seither hatte sie sich in der Gesellschaft anderer nie mehr richtig wohlgefühlt.
Sie wollte die Bitterkeit loswerden, die sich stets regte, wenn sie an den Grund ihrer Depression dachte. Die selbstzerstörerischen Entscheidungen von damals verfolgten sie noch immer. In jener dunklen Zeit hatte sie vor allem in Büchern Trost gefunden. Früher war sie keine begeisterte Leserin gewesen, doch nun befreite sie sich durch ihre Flucht in Bücher von ihrer Niedergeschlagenheit.
Ihr war klar, dass das wohl nicht die gesündeste Art war, die Lage zu meistern, aber indem sie sich an die Bücher und ihren Großvater geklammert hatte, war es ihr gelungen, die Highschool zu schaffen. Danach hatte sie sich im Studium vergraben, und erst seit ihrer Arbeit in der Uni-Bibliothek hatte sie das Gefühl, ihre Nische gefunden zu haben.
»B, Liebes, du siehst jedes Mal umwerfender aus!«, tönte Sally Devereaux. Sie war der Inbegriff der texanischen Matriarchin, inklusive der nötigen Mähne, dem starken Näseln und der ausgeprägten Persönlichkeit. Die zwei
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