Das verborgene Feuer
Ihnen je ein Unsterblicher begegnet, den ich Ihnen nicht vorgestellt habe, möchte ich, dass Sie mir und Carwyn sofort davon berichten.«
»Herrschsüchtig«, murmelte sie.
»Tödlich«, gab er heftig zurück, und Carwyn lachte leise. »Ich mache keine Scherze, Beatrice. In unserer Welt gelten keine Gesetze oder wenigstens Gepflogenheiten. Die Stärksten, Klügsten und Reichsten haben die Macht. Und Macht ist das einzige Gesetz. Dieser Vampir hat Verstand, Kraft und Geld im Überfluss. Ich schaffe es, mein Leben zu leben, weil ich ihm ausweiche…«
»Und weil unser Giovanni seine Feinde gut durchgebraten liebt!«, warf Carwyn ein.
»…aber dieser Vampir«, er warf dem Priester einen wütenden Blick zu, »hat sich auf mich eingeschossen. Ich weiß nicht, warum, aber« – er hielt inne und taxierte sie – »ich habe so meine Vermutungen.«
Er verstummte, sah die Dokumente weiter durch und schenkte dabei der linken Kante des Pergaments besondere Aufmerksamkeit, die einen glatten Schnitt aufwies. Beatrice beobachtete ihn und ließ sich all die rätselhaften Informationen durch den Kopf gehen, die sie gesammelt hatte, seit sie vor Wochen die Wahrheit über Giovanni und ihren Vater erfahren hatte.
»Liegt es an mir? Daran, dass wir uns begegnet sind? Was hat das mit meinem Vater zu tun?«
Giovanni unterbrach sein Tun, um sie zu mustern, und das kurze Flackern in seinem Blick spornte Beatrice nur an.
»Ich meine … Sie haben nach diesen Büchern gefahndet, und mein Vater hat etwas in Italien gesucht.« Plötzlich rückten alle Teile des Puzzles an die richtige Stelle. »Das ist es, oder? Es geht um das, wonach mein Vater gesucht hat? Um Ihre Bücher. Ihre Briefe. Oder um etwas, das damit zu tun hat. Darum haben Sie sich bereit erklärt, mir bei der Suche nach meinem Vater zu helfen.« Sie trat auf ihn zu und forderte den mächtigen Unsterblichen heraus, der sie stumm ansah. »Ich habe recht, nicht wahr?«
Die beiden Vampire tauschten einen vielsagenden Blick.
»Ich hab’s dir doch gesagt«, murmelte Carwyn.
Giovannis lateinische Antwort klang wie ein Fluch, doch dann wandte er sich wieder Beatrice zu. Sein Blick zeugte davon, wie kriegerisch er gestimmt war, doch er nickte nur knapp. »Ja, Sie haben teilweise recht.«
Sie war kurz sprachlos darüber, dass er ihr wirklich etwas verraten hatte. »Gut … der Kerl also, der Ihnen die Bücher oder Briefe gestohlen hat oder was immer es war – was will er denn überhaupt?«
Carwyn und Giovanni tauschten einen weiteren Blick.
»Wir vermuten, er sucht Ihren Vater«, erwiderte Carwyn leise. »Wir wissen nicht warum, aber wahrscheinlich hat er die Briefe deshalb der Universität gestiftet.«
»Okay, mein Vater weiß also etwas … gut. Und dieser Kerl ist gefährlich, ja? Macht er Feuer wie Gio?«
»Nein«, erwiderte Carwyn, »er –«
»Das brauchen Sie nicht zu wissen –«
Sie funkelte Giovanni an. »Ich will wissen, wer es ist!«
»Wie ungünstig für Sie.« Er sah sich die Briefe weiter an und behandelte sie, als seien sie aus zartestem Glas.
»Sie arroganter Esel –«
»Lorenzo«, erwiderte er. »Inzwischen nennt er sich Lorenzo.«
Beatrice sah ihn mit offenem Mund an. »Er ist doch nicht –«
»Nein«, versicherte ihr Carwyn. »Es ist nicht der, an den Sie denken.«
Giovanni inspizierte die Briefe nun aus nächster Nähe, um sich auch das Pergament genau anzusehen. »Er vermittelt den Leuten gern den Eindruck, einer dieser Medici-Drecksäcke zu sein«, murmelte er. »Das ist er zwar nicht, aber einige glauben es, und das vergrößert seinen Nimbus noch, vermute ich. Er liebt es, einen schlechten Ruf zu haben.« Giovanni atmete tief ein und schloss die Lider. Im nächsten Moment zuckten seine Augen, als wollte er sich auf etwas besinnen, das ihm entgangen war.
»Wissen Sie, B«, sagte Carwyn gleichmütig, »manche in unserer Welt entscheiden sich für das Streben nach Macht. Macht über Land, Menschen, Reichtümer. Er dagegen will etwas von Giovanni – sonst würde er nicht so etwas getan haben. Es gibt etwas, von dem er denkt, dass er es erlangen kann.«
»Oder jemanden«, warf Giovanni nachdenklich ein, und in dem bereits ruhigen Saal wurde es ganz still.
»Jemanden?« Beatrice blickte nervös zur Tür, als könnte jederzeit eine Bedrohung hereinspazieren. »Aber … mich doch nicht, oder?«
Beide Vampire schwiegen und sahen sie nur mit empörend undurchdringlicher Miene an. Dass selbst Carwyn ein Pokerface aufgesetzt hatte, hätte sie
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