Das verborgene Feuer
Mann getroffen hätte, der ihn in einen Vampir verwandelt hatte. Er betrachtete die neugierige junge Frau neben sich, mit der er Champagner trank, und nickte.
»Ja, ich bin mit meinem Leben zufrieden.«
»Und ich bin froh, dich getroffen zu haben.«
Sie lächelten und nippten an dem Champagner. Er hielt ihr sein Glas entgegen und stieß mit ihr an.
»Meinen Glückwunsch, Beatrice, zu deinen Prüfungen.«
Als Giovanni am Mittwoch darauf die Bibliothek betrat, lächelte er. Es war Beatrices letzte Arbeitswoche an der Universität – sie würde ihre Zeit also nicht länger zwischen der Bibliothek und seiner Sammlung teilen.
Caspar und Isadora ging es gut, und bis jetzt hatten sie in den Bergen keine Aufmerksamkeit erregt. Als Giovanni an diesem Abend mit seinem Butler telefonierte, hatte dieser auch endlich von einem Mitarbeiter Livias in Rom Nachricht bekommen.
Ihrem Sekretär zufolge konnte Giovanni binnen dreier Monate mit einem Brief von ihr rechnen. Das mochte manchem lang vorkommen, erschien der zweitausendjährigen römischen Adligen aber als postwendende Antwort.
Vor Freude wäre er fast in den vierten Stock hochgesprungen, blieb aber im Treppenhaus stehen, als er ihm unbekannte Stimmen gedämpft aus den Räumen kommen hörte. Er spürte keine Gefahr, aber es waren viel mehr Stimmen als sonst. Er konzentrierte sich, als er Beatrice heraushörte; sie klang besorgt, aber nicht panisch.
Giovanni trat lauschend in den Flur, doch die Stimmen gingen zu sehr durcheinander, um aus der Entfernung etwas zu verstehen. Er stieß die Tür auf und sah den Direktor der Sondersammlungen mit Beatrice und Charlotte Martin, der Bibliothekarin, im Lesesaal stehen. Auch der Präsident der Universität war da sowie der Sicherheitschef und zwei Ermittler von der Polizei.
Charlotte erblickte ihn sofort. »Ach, Dr. Vecchio, so ein Fiasko! Zum Glück wurde wenigstens Ihr Manuskript nicht beschädigt.«
»Was ist denn los?« Er warf Beatrice einen Blick zu, doch sie sagte gerade einem Ermittler gegenüber aus und nickte ihm nur knapp zu.
»Die Pico-Briefe, Dr. Vecchio. Sie sind verschwunden!«
19
Houston, Texas
Juni 2004
»Und wann sind Sie hier eingetroffen?«
Beatrice seufzte. »Das habe ich dem anderen Polizisten doch schon erzählt. Ich war spät dran und kam vermutlich gegen Viertel nach fünf. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, weil Dr. Christiansen und Charlotte hin und her liefen und überall Sicherheitsleute waren.«
Kommissar Rose bekam schmale Augen, und sein dünnes Lächeln drang nicht bis zu ihnen vor. »Wie lange arbeiten Sie schon in der Bibliothek?«
»Seit zwei Jahren. Ich weiß nicht genau, in welchem Monat ich angefangen habe. Es war im zweiten Studienjahr.«
»Und nun haben Sie Ihr Studium abgeschlossen?«
»Ich habe gerade Examen gemacht. Das ist meine letzte Arbeitswoche.«
»Das ist ja schön – meinen Glückwunsch.«
Beatrice runzelte die Stirn. »Stehe ich unter Verdacht? Ich würde nie etwas aus der Bibliothek stehlen.« Sie sah Giovanni am Eingang zum Lesesaal mit Charlotte sprechen, doch ihr war klar, dass er dabei ihrer Unterhaltung mit dem Ermittler lauschte.
»Wie viele Personen kennen den Zahlencode zum Magazin, Miss De Novo? Oder soll ich Sie B nennen?«
Sie reckte das Kinn vor. »Sie nennen mich bitte Miss De Novo.« Über die Schulter des Polizisten sah sie Giovanni grinsen. »Ich kenne den Code – genau wie Charlotte Martin und natürlich Dr. Christiansen. Mrs Ryan aus dem Erdgeschoss wird ihn auch kennen. Und Karen Williams, die hier mitunter aushilft. Normalerweise arbeitet sie in der Leihstelle, greift uns aber unter die Arme, wenn viel zu tun ist.«
»Das ist wenig Personal.«
»Tja«, erwiderte sie achselzuckend, »wir haben auch nur zu bestimmten Zeiten auf. Überlaufen ist es bei uns nicht.«
»Das ergibt eine überschaubare Liste an Verdächtigen.«
»Vermutlich – es sei denn, Sie erweitern den Kreis auf alle, die Schlösser knacken können. Sicherheitstechnisch ist diese Bibliothek nicht gerade auf dem neuesten Stand.«
»Kennen Sie sich denn damit aus?«
Sie sah ihn entsetzt an. »Soll das ein Witz sein?« Er schien nicht zu scherzen. »Ich weiß nicht, wie man Schlösser knackt. Und über die verschwundenen Briefe weiß ich auch nichts. Ich wüsste nicht einmal, was ich damit anfangen sollte, wenn wirklich ich sie gestohlen hätte.«
Kaum hatte sie das gesagt, begriff sie, dass es nicht stimmte. Sie hatte eine rasche Auffassungsgabe, und mancher von
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