Das verborgene Feuer
Giovannis Bekannten, mit denen sie in letzter Zeit Kontakt gehabt hatte, schien ihr hart am Rande der Legalität zu operieren. Würde sie gestohlene Briefe verkaufen wollen, könnte sie wahrscheinlich herausfinden, wie.
»Wo waren Sie gestern Abend?«
»Ich war – äh, ich habe …«
… mit einem fünfhundert Jahre alten Vampir, in den ich mich womöglich verlieben werde, Kuchen gegessen. Ach, und richtig teuren Champagner haben wir getrunken. Und über meinen toten Vater haben wir gesprochen … der gar nicht richtig tot ist
.
»Sie hat mit mir zu Abend gegessen«, hörte sie eine Stimme hinter dem Polizisten sagen.
Der Ermittler drehte sich um und musterte den großen Mann, der auf ihn zukam und dessen ruhiges Auftreten und freundliches Lächeln ihm nicht entgingen. Der Ankömmling trug an diesem Abend ein weißes Oxford-Hemd, eine gelehrt wirkende Brille und eine seiner unerschöpflich vielen schwarzen Hosen.
»Und wer sind Sie?«
Giovanni hielt ihm lächelnd die Hand hin. »Dr. Giovanni Vecchio. Ich handele mit seltenen Büchern und betreibe in der Bibliothek Forschungsarbeiten. Beatrice und ich treffen uns regelmäßig.«
Ach ja?
, dachte sie.
Danke, dass du mich das wissen lässt, Gio. Tun wir das wirklich?
Im wortwörtlichen Sinne zweifellos, denn sie sahen sich täglich.
Der Ermittler betrachtete Giovannis ausgestreckte Hand und schüttelte sie dann. Beatrice sah genau hin, ob es ein körperliches Zeichen für den Einfluss gab, den Giovanni nun sicher auf den Ermittler ausübte – irgendein Schimmern oder ein Funke –, aber nein.
»Ihnen ist sicher klar, dass Miss De Novo mit diesem Diebstahl nichts zu tun hat, Mr Rose?«
»Natürlich hat sie nichts damit zu tun. So ein alberner Gedanke«, erwiderte der Polizist mit warmer Stimme, die weit freundlicher klang, als gerade eben noch.
»Und ihre Erklärungen haben Sie vollauf befriedigt.«
»Aber ja. Sie ist ein reizendes Mädchen.«
Giovanni nickte, neigte den Kopf zur Seite und blickte dem Ermittler in die benebelten Augen. »Allerdings. Was Miss De Novo angeht, ist keine weitere Untersuchung notwendig.«
Der Polizist nickte und wandte sich an Beatrice. »Stimmt. Ich denke, wir sind hier fertig.« Er klappte sein Notizbuch zusammen, hob salutierend die Hand und gesellte sich zu seinem Kollegen, der mit Dr. Christiansen sprach.
Beatrice sah Giovanni an, der mit grimmiger Miene dem abrückenden Polizisten nachschaute.
»Um ehrlich zu sein: Das war mehr als nur ein bisschen unheimlich, Batman.«
»Hauptsache, du wirst nicht in diesen Schlamassel hineingezogen.«
»Hat Lorenzo die Briefe gestohlen?«
Er schürzte die Lippen. »Vermutlich. Ich habe keine Ahnung, wie er reingekommen ist, aber du hast recht: Die Bibliothek ist schlecht gesichert. Jeder, der sich etwas mit Einbrüchen auskennt, kann mühelos eindringen.«
Sie zögerte, denn sie wollte nicht aussprechen, woran sie gleich gedacht hatte, als sie von dem Diebstahl erfuhr, und doch fühlte sie sich gezwungen, die Frage zu stellen: »Du bist es nicht gewesen, oder?«
Giovanni sah sie missbilligend an, doch sie zwang sich, weiterzureden. »Es ist nur … ich weiß ja, dass es deine Briefe sind. Und ich hab dir den Zahlencode genannt, als Lorenzo da war, und würde es wirklich vollkommen …«
»Ich bin es nicht gewesen.«
Sie fühlte sich schrecklich, als hätte sie ihn dadurch, dass sie es für möglich gehalten hatte, verraten. »Gut. Ich meine, ich glaube dir. Ich weiß nicht, warum … ich weiß nur, dass du diese Schreiben unbedingt zurückbekommen möchtest. Und ich würde es verstehen, wenn du sie dir genommen hättest.«
Er neigte den Kopf zur Seite und betrachtete sie plötzlich mit ganz ausdruckslosem Blick.
»Ich muss jetzt Blut saugen.«
Sie drehte sich um und fürchtete, jemand habe diesen Satz gehört, doch Dr. Christiansen sprach noch immer mit den Polizisten, und Charlotte redete mit Dr. Scalia, der den Lesesaal betreten hatte, als sie und Giovanni mit dem Ermittler gesprochen hatten.
»Gut. Alles in Ordnung mit dir?«, flüsterte sie. »Ich meine, heute ist nicht Freitag, und ich weiß, dass du –«
»Es ist besser, ich schlage mir heute den Bauch voll.« Er warf einen raschen Blick zur Tür hin. »Falls es Ärger gibt, bin ich am effektivsten, wenn ich eben Blut getrunken habe.«
Beatrice schluckte und versuchte ihre Beklommenheit zu ignorieren. Sie wusste nicht, was er mit den »Spendern« trieb, von denen er sich nährte, aber er hatte mehr als einmal
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