Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
langweilig das sein muss?«, bemerkte Élodie.
»Élodie, hör auf damit«, fauchte Delphine ihre Schwester an. Dimity floh und hörte nichts mehr.
In dieser Woche gingen die Mädchen sich aus dem Weg, und obgleich Dimity vor Ungeduld brannte und sich so sehr nach einem Besuch in Littlecombe sehnte, war sie zu verängstigt und verärgert über Celestes kühlen Empfang, um hinzugehen, wenn Delphine nicht dort war. Sie sah die drei Mädchen oft am Strand und im Dorf und mehr als einmal unten auf der Southern Farm, wo sie Christopher Brock, dem Sohn des Bauern, schöne Augen machten. Mary zwirbelte ihr Haar zwischen den Fingerspitzen, warf sich in Pose und lächelte affektiert und dümmlich. Doch es war Delphine, die den jungen Mann offenbar mit einem Wort oder einem Blick beeindrucken konnte. Wenn sie mit ihm sprach, senkte er den Kopf und lächelte schüchtern, und einmal war Dimity nah genug dran, um sehen zu können, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. Delphines Freundin lachte wie ein Häher, als sie es sah, und wollte sich nicht anmerken lassen, dass sie das traf, doch Dimity lächelte in ihrem Versteck und sah zu, wie Mary ihren Stolz herunterschlucken musste.
Nach acht Tagen dachte Dimity daran, doch wieder hinzugehen, da Mary inzwischen abgereist sein sollte. Eines Nachmittags war sie gerade im Abtritt, umgeben vom süßlichen Gestank der Grube und summenden Insekten, zerriss Zeitungen zu langen Rechtecken, hängte sie an den Haken und verteilte Holunderzweige gegen die Fliegen, als sie Valentina von der Hintertür rufen hörte. Dimity hatte gerade von der Innentoilette von Littlecombe geträumt, mit dem Wassertank hoch oben an der Wand, einer Messingkette, mit der man das Wasser zum Spülen laufen ließ, und Rollen von weichem Toilettenpapier. Kein derber Holzsitz mit gärender Jauche darunter. Man musste auch nicht erst den Deckel hochklappen und nach den dicken, braunen Spinnen suchen, die sich darunter versteckten und sie erschreckten, wenn sie nicht aufpasste. Valentina rief wieder nach ihr.
»Was ist, Ma?«, rief Dimity, ließ die Tür des Abtritts hinter sich zuschlagen und ging über den unordentlichen Hinterhof. Zu ihrer Überraschung erschienen Élodie und Delphine an der Ecke des Häuschens und blickten sich neugierig um. Dimity blieb stehen wie erstarrt. »Was macht ihr denn hier?«, stieß sie entsetzt hervor. Die Mädchen hielten inne, und Delphine lächelte unsicher.
»Wir wollten zu dir …«, sagte sie. »Ich … Wir haben dich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Drüben, meine ich. Hättest du Lust, wieder mit mir sammeln zu gehen?« Dimity war überrascht, denn sie wussten doch beide, warum sie nicht mehr zu Besuch gekommen war – es hatte sich herausgestellt, dass Dimity nur eine Ersatzfreundin war, auf die man zurückgriff, wenn keine bessere Alternative zur Verfügung stand. Eine heftige Abneigung gegen Delphine flammte plötzlich in ihr auf.
»Ich habe zu viel zu tun. Ich mache hier keinen Urlaub, weißt du? Ich muss meiner Mutter helfen und meine Arbeit verrichten wie immer.«
»Ja, natürlich. Aber …«
»Ich nehme an, euch ist ein wenig langweilig, jetzt, da Mary weg ist«, sagte sie.
»O ja, sehr langweilig«, sagte Élodie. Dimity betrachtete das jüngere Mädchen mit dem hübschen, verdrießlichen Gesicht. Doch sie sah keine Abscheu darin, keinen Hohn. Élodies Worte waren nur eine Feststellung, gedankenlos, aber sachlich. Delphine errötete und machte ein betroffenes Gesicht.
»Ich wollte dich nicht links liegen lassen! Wirklich nicht. Es war nur ein bisschen schwierig, solange Mary da war – ich musste sie unterhalten, verstehst du? Ich war ihre Gastgeberin, und sie wollte uns lieber für sich haben. Das verstehst du doch, oder nicht?«, erklärte sie. Dimity spürte, wie ihr Herz weicher wurde, doch sie war noch nicht völlig bereit, Delphine zu vergeben. »Es war doch nur eine Woche«, fuhr Delphine fort. »Jetzt ist sie wieder nach Hause gefahren, und wir haben noch den ganzen restlichen Sommer zusammen.«
Dimity überdachte diese Entschuldigung und war nicht sicher, wie sie darauf reagieren sollte. Dass sich jemand bei ihr entschuldigte, hatte sie noch nicht allzu oft erlebt.
Élodie seufzte, schob die Hände in die Hosentaschen und schwang ungeduldig die Hüften hin und her. »Können wir nicht hineingehen und Tee trinken?«, schlug sie vor. »Meinst du, deine Mutter hat schon welchen gemacht? Ich glaube, sie war gerade sehr schlecht gelaunt.«
»So
Weitere Kostenlose Bücher