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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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ist sie eben«, erwiderte Dimity knapp. Im Lauf der letzten zwei Jahre hatte sich ihre Darstellung von Valentina als herzliche, fürsorgliche Mutter verflüchtigt. Sie versuchte gar nicht erst, den beiden zu erklären, wie absurd die Vorstellung war, dass Dimity sie einladen könnte, mit hineinzukommen und Tee zu trinken, den Valentina zubereitet hatte. Das war das reinste Märchen.
    »Ist das eure Toilette?«, fragte Delphine, als sich das Schweigen unbehaglich in die Länge zog. Delphines Frage klang fröhlich und neugierig, und Dimity spürte, wie Hitze in ihr aufstieg. Ein heißer Schwall der Demütigung und Wut.
    »Ja.« Ihre Stimme war halb erstickt. Es stinkt im Sommer und ist eiskalt im Winter, es wimmelt von Spinnen und Fliegen, die Zeitung hinterlässt Druckerschwärze auf deiner Haut, wenn du dich damit abputzt, und kein sauberes Wasser sprudelt hindurch, um dein stinkendes Geschäft einfach wegzuspülen – es bleibt dampfend da liegen, wo du und alle, die nach dir kommen, es sehen können. Das ist der verdammte Abtritt. Das ist mein verdammtes Leben. Das ist keine Sommerfrische. Doch nichts davon sagte sie laut.
    »Oh, ich wollte nicht …« Delphines Wangen färbten sich erneut dunkelrosa. Sie blickte sich mit einem vagen Lächeln um und schien nicht weiterzuwissen. »Also«, sagte sie schließlich, »offensichtlich hast du heute viel zu tun. Vielleicht könnten wir ja morgen gehen? Sammeln, meine ich.«
    »Dazu brauchst du mich nicht mehr. Du kennst die Pflanzen gut genug.«
    »Ja, aber es macht mehr Spaß, wenn wir alle drei gehen.«
    » Ich finde nicht, dass es mehr Spaß macht«, warf Élo die ein.
    »Doch, findest du wohl.« Delphine stupste ihre Schwes ter an und warf ihr einen finsteren Blick zu. Élodie verdrehte leicht die Augen gen Himmel.
    »Ach, bitte komm doch mit, Mitzy«, sagte sie gehorsam. »Wir hätten dich wirklich gern dabei.«
    »Vielleicht. Wenn ich Zeit habe«, sagte Dimity.
    »Dann warte ich morgen im Haus auf dich, ja? Komm, Élodie.« Die Schwestern gingen über den Hof davon.
    Bis zum nächsten Morgen war Dimitys Ärger verflogen, und sie war froh, Valentina zu entkommen und die Aubreys zu besuchen. Sie und Delphine waren im ersten Moment noch ein wenig verlegen, doch dann lächelten sie sich an, und alles war wieder gut. Sie schwammen im Meer, obwohl es kälter war als sonst, sammelten allerhand Essbares und spazierten ins Dorf, um im Laden Lakritze zu kaufen. Während dieser ersten gemeinsamen Woche geschahen zwei Dinge, die Dimity beunruhigten. Erstens beobachtete sie, wie Charles und Celeste sich im Ort mit einem Touristenpaar unterhielten. Sie sah sie reden, und die fremde Frau zeigte ihre Begeisterung für Charles so unverhohlen, dass sie für alle Welt sichtbar war, als trüge sie ein leuchtend rotes Halstuch. Und zweitens fiel Dimity auf, dass Charles sie in diesem Sommer schon mehrmals gesehen, aber noch nicht gefragt hatte, ob er sie zeichnen dürfe. Valentina hatte schon nach dem Geld gefragt, doch Dimity ersehnte sich mehr als das. Sie sehnte sich nach seiner konzentrierten Aufmerksamkeit, nach diesem Gefühl, das sie nur empfand, wenn er sie zeichnete. Dann fühlte sie sich wirklicher, lebendiger als jemals sonst, und der Gedanke, dass er sie aus irgendeinem Grund nicht mehr zeichnen wollte, löste kribbelnde Panik in ihrem Bauch aus. Aber irgendwie war ihr klar, dass sie nicht danach fragen konnte. Nicht fragen sollte.
    Daher begann Dimity, wann immer sie sich im selben Raum aufhielt wie Charles Aubrey, ihm stets mit Blicken zu folgen, sich ihm möglichst unauffällig immer wieder in den Weg zu stellen und hübsch zu posieren. Sie zerstrubbelte sich mit den Fingern das Haar, um eine wilde Mähne zu erzeugen, biss sich auf die Lippen und zwickte sich in die Wangen, wie Valentina es immer tat, bevor ein Gast kam. Charles schien das nicht zu bemerken, doch Dimity ertappte Celeste mehr als einmal dabei, dass sie sie mit diesem prüfenden Blick beobachtete, und musste sich dann hastig abwenden, um sich nicht zu verraten. Meistens jedoch war Charles schon allein fortgegangen, wenn Dimity Littlecombe erreichte. In ihrer Verzweiflung stand sie eines Tages schon vor dem Morgengrauen auf und wartete vor der Einfahrt, um ihn abzufangen, wenn er aus dem Haus ging. Da stand sie im taufeuchten Gras mit nassen, kalten Zehen und ihrem Herzen, das nur für ihn schlug. In der Kleidung, die er stets zum Malen trug, kam er aus dem Haus, ehe die Sonne eine Handbreit über dem

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