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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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gewesen. Selbst wenn es nur eines deiner Werke gewesen wäre – deine Abschlussarbeit, die ihr so gefallen hat«, sagte Hannah, während sie durch das Stroh zu einem weiteren Mutterschaf stapften, aus dessen Hinterteil die Vorderbeine des Lamms in einer grauen, glänzenden Hülle herausragten.
    »Ich konnte einfach nicht. Es war zu demütigend …«
    »Du meinst, selbst da warst du noch zu stolz?«
    »Anscheinend.«
    »Männer!« Hannah verdrehte die Augen. »Ihr wollt wirk lich nie anhalten, um nach dem Weg zu fragen.«
    »Ich habe wohl immer noch auf irgendein anderes Wunder gewartet. Aber das war’s. Das war meine große Chance, und ich habe sie sausen lassen.«
    »Ach, komm, das kaufe ich dir nicht ab.« Sie schlang die Hände um die glitschigen Beine des Lämmchens, und als sie das Mutterschaf pressen sah, zog sie gleichmäßig daran, bis der ganze kleine Körper mit einem Schwall Flüssigkeit und einem Ächzen des Schafs herausglitt. »Ja! Braves Mädchen«, sagte sie, befreite Maul und Nüstern des Lamms von Schleim und schwenkte es ein paarmal sachte hin und her, bis es nieste und schnüffelte und schwach den Kopf schüttelte. Sie legte es neben seine verblüffte Mutter ins Stroh und wischte sich die Hände am Hosenboden ab. Zach verzog das Gesicht. Lammen war eine blutigere Angelegenheit, als er es sich vorgestellt hatte.
    »Wie meinst du das?«
    »Was für dich bestimmt ist, kommt auch bei dir an, hat mein Großvater immer gesagt. Begabung setzt sich durch. Wenn es dir bestimmt gewesen wäre, ein beruflich erfolg reicher Künstler zu werden, hättest du es auch geschafft«, sagte sie. »Es hat eben nicht sein sollen.«
    »Hm. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich diesen Gedan ken besser oder noch schlimmer finden soll. Sind wir nicht unseres eigenen Glückes Schmied, wie es so schön heißt?«
    »Was willst du damit sagen – dass du es all die Jahre lang nur nicht richtig versucht hast? Dass du deshalb kein berühmter Künstler bist, deine Galerie bald wirst schließen müssen und jetzt dein Buch nicht fertig bekommst?«
    »Nein, das wohl nicht. Es hat sich jedenfalls – angefühlt, als würde ich es wirklich versuchen. Ich werde schon müde, wenn ich nur daran denke.«
    »Na bitte. Dann mach dich nicht wegen einer einzigen versäumten Chance fertig.«
    »Du meinst also, ich war von Anfang an zum Scheitern verurteilt?«
    »Genau. Und, fühlst du dich nicht gleich besser?« Sie grinste ihn an und boxte ihm sanft in die Schulter.
    »O ja. Viel besser«, entgegnete er lächelnd. Hannah seufzte leise, trat vor, nahm ihn beim Hemd und reckte ihm das Gesicht entgegen, um ihn zu küssen.
    »Kopf hoch. Ich stehe immer noch auf dich, obwohl du so ein ungeheuerlicher Loser bist«, sagte sie.
    Nach der langen Nacht im Stall schlief Zach bis mittags und wachte mit knurrendem Magen auf. Um zwei Uhr ließ er sich einen Teller Schinken, Ei und Pommes frites schmecken, in Gesellschaft von Trinkern und Hundespaziergängern, die Schutz vor dem anhaltenden Regen suchten. Zach wandte den Kopf, um durch das Fenster ins Nasse zu schauen, und entdeckte Hannah. Sie wartete an der Bushaltestelle und trug nur ihr übergroßes Karohemd, nichts Wasserdichtes. Die Jeans waren in ihre Gummistiefel ge stopft, ein alter Wachshut tief über den Kopf gezogen. Zach richtete sich auf und wollte ans Fenster klopfen, um auf sich aufmerksam zu machen, doch dann wurde ihm klar, dass sie zu weit weg war und ihn in dem prasselnden Regen nicht hören würde. Er lehnte sich zurück und wunderte sich, warum um alles in der Welt sie im Regen an der Bushaltestelle warten sollte, wenn sie doch selbst überallhin fahren konnte. Und wenn ihr Jeep aus irgendeinem Grund ausfallen sollte, hätte sie sicher keine Scheu, ihn zu bitten, sie irgendwohin zu bringen. Also stützte er den Ellbogen auf die Lehne der Sitzbank, das Kinn auf die Hand, und beobachtete sie mit gerunzelter Stirn. Sie hatte die Hände tief in die Taschen geschoben und hielt sich geradezu beängstigend aufrecht. Ihre Schultern waren leicht hochgezogen und gestrafft, und je länger Zach sie betrachtete, desto mehr wurde ihm be wusst, dass sie extrem angespannt, ja sogar beklommen wirkte. Es dauerte nicht lange, bis der Bus mit hektisch hin und her sausenden Scheibenwischern vorfuhr und zwei ältere Damen in Regenponchos aus klarem Kunststoff ausstiegen. Hannah stieg nicht in den Bus.
    Etwa zwei Minuten später schaute sie auf ihre Armbanduhr, doch im selben Moment bremste ein verdreckter

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