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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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seit über einer Woche kaum mehr an das Buch gedacht hatte, das er eigentlich schreiben sollte. Er hatte umfangreiche Notizen und einen Stapel Karteikarten, auf denen er Ansätze zu einzelnen Kapiteln mit den zugehörigen Quellen und Notizen festgehalten hatte. Doch auf einmal konnte er sich durchaus vorstellen, dass dieses Buch nie erscheinen würde. Das Buch, mit dem er begonnen hatte, war nicht mehr das Buch, das er tatsächlich schreiben wollte. Dass es seine Schwächen gehabt hatte, war ihm von Anfang an klar gewesen, doch jetzt erkannte er, dass es viel schlimmer war. Es war nichts sagend.
    Er wollte viel lieber über den Menschen schreiben, nicht über den Künstler. Er wollte von Blacknowle erzählen, den Menschen, die hier lebten, und von ihrer Reaktion auf den berühmten Mann in ihrer Mitte. Er wollte über Dimity Hatcher schreiben und über die Werke, die in jüngster Zeit aus dieser geheimnisvollen Sammlung in Dorset verkauft worden waren. Er wollte herausfinden, wer Dennis war und was nach Aubreys Tod aus Delphine geworden war. Er wollte wissen, wie Celeste ihr restliches Leben verbracht hatte. Aber der einzige Mensch, der all diese ungeklärten Fragen vielleicht beantworten konnte, war Dimity, und er konnte sie kaum zwingen, ihm etwas zu erzählen, wenn sie es nicht wollte. Die Geschichten, die sie ihm bisher erzählt hatte, waren fantastisch, frisch und lebendig erhalten durch ihre Liebe zu Charles Aubrey. Doch sie würden kein Buch füllen. Er stellte sich vor, wie er in seine Galerie zurückkehrte, entweder, um sie offiziell zu schließen, oder um sie wieder zu eröffnen und einen neuen Anlauf zu nehmen. Bei dem Gedanken durchfuhr ihn ein Übelkeit erregendes Grauen. Er sah das Drehgestell mit den Postkarten vor sich, das verstaubte, während die Sonne die Druckfarben ausbleichte. Und genau so würde es ihm ergehen, wenn er dorthin zurückkehrte, das wurde ihm plötzlich vollkommen klar. Er würde verstauben, seine Farben würden zu nichts verblassen, und er würde Hannah nie wiedersehen.
    Annie Langton wohnte in einem alten Backsteinhaus am Rand von Guildford. Die Fassade war mit Kletterrosen bedeckt, die ihre letzten gelben Blütenblätter auf die gekieste Auffahrt fallen ließen. Das Häuschen erschien urig und anheimelnd, doch Zach wusste, wie teuer ein solches Cottage in dieser Gegend war. Eine schwarz-weiße Katze strich um seine Knöchel, als er an die Haustür klopfte und wartete. Mrs. Langton öffnete ihm. Sie wirkte zierlich und lebhaft und trug eine maßgeschneiderte Cordhose und eine beigefarbene Bluse. Ihr stahlgraues Haar war zu einem glatten Bob frisiert, und über der Hakennase blitzten kluge blaue Augen.
    »Mr. Gilchrist, nehme ich an«, begrüßte sie ihn mit einem forschen Händedruck.
    »Mrs. Langton. Vielen Dank, dass ich mir Ihr Bild an sehen darf.«
    »Kommen Sie herein. Ich mache uns erst einmal einen Kaffee.« Sie führte ihn in ein makellos aufgeräumtes Wohn zimmer, ausgestattet mit üppigen Polstermöbeln und schwe ren, luxuriösen Stoffen. »Bitte nehmen Sie Platz. Ich bin gleich wieder bei Ihnen.«
    Sie verließ den Raum, und Zach ließ seinen Blick über die Bilder an den Wänden schweifen. Dort hingen einige sehr schöne Werke aus dem zwanzigsten Jahrhundert, dar unter eines, das eine Skizze von Henry Moore zu sein schien – ein Entwurf für eine seiner sinnlichen Bronzeskulpturen. Dann zog eine andere Zeichnung seinen Blick auf sich, denn selbst von der gegenüberliegenden Seite des geräumigen Wohnzimmers aus erkannte er, dass sie von Aubrey stammte. Er ging hinüber, um sie aus der Nähe zu betrachten, und lächelte vor Freude. Mitzy, 1939 . Zach kannte sie – eine großartige Skizze von Mitzy, mit bloßen Schultern im Sonnenschein. Das Bild war vor etwa elf Jahren versteigert worden, und Zach hatte nicht einmal versucht, darauf zu bieten. Ihm war klar gewesen, dass er es sich nicht würde leisten können, weil dies die schönste bekannte Zeichnung von ihr war, obwohl recht skizzenhaft ausgeführt. Sie trug eine tief ausgeschnittene Folklore-Bluse, die ihre stolz gerundeten Brüste hervorhob – ein von der Sonne geküsster Augenblick vor siebzig Jahren, ein wunder schönes junges Mädchen mit blitzenden Augen. Man hätte schon ein Herz aus Stein haben müssen, um beim Anblick dieses liebreizenden jungen Gesichts nicht den Drang zu verspüren, es mit beiden Händen zu umfangen und mit Küssen zu bedecken. Ihre Oberlippe stand leicht hervor wie eine knospende

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