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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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explodieren. Nein. Das Wort versengte ihr die stumme Zunge. Diese Reise sollte ewig dauern – eigentlich gar keine Reise sein, sondern ein neues Leben, eine neue Wirklichkeit. Hier, wo sie jeden Tag Charles Modell sitzen konnte und niemand über sie tuschelte oder sie beschimpfte. Wo es keine Valentina gab, verkniffen vor Boshaftigkeit, die von ihr forderte, Geld dafür zu verlangen. Wo ihr das Essen von schwarzäugigen jungen Männern gebracht wurde und sie es weder jagen noch aus einer regennassen Hecke ernten und dann schälen, rupfen oder kochen musste. Wo sie Kleider tragen konnte, die so farbenfroh waren wie die Blüten der Bougainvilleen und die Wandkacheln und Dächer der heiligen Gebäude, Kleidung, die sie fließend umhüllte wie königliche Prunkgewänder. Wo sie in einem Haus mit einem Springbrunnen in der Mitte wohnte, unter dem heißen Himmel anstelle eines Daches. Marokko war ein traumhaftes Land, und sie wollte nie wieder aufwachen.
    Am nächsten Tag ging Celeste wieder mit ihren Töchtern aus, um ihre Mutter zu besuchen. Dimity bemühte sich, niemanden merken zu lassen, wie aufgeregt sie war und wie sehr sie sich darüber freute, mit Charles allein gelassen zu werden. Innerlich jubelte sie, und sie fürchtete, Celeste könnte es ihr ansehen. In der Tür drehte Celeste sich noch einmal um und warf ihnen beiden einen festen Blick zu, doch sie sagte nichts. Charles wirkte geistesabwesend und runzelte die Stirn, als sie sich auf den Weg in die Stadt machten. Er trug seine Malsachen in einer ledernen Schultertasche und ging so schnell, dass Dimity Mühe hatte mitzuhalten. Sie hielt den Blick auf seinen Rücken geheftet und sah zu, wie sich auf seinem Hemd ein fächerförmiger dunkler Schweißfleck ausbreitete. Nach einer Weile kam es ihr beinahe so vor, als liefe er vor ihr davon, als wollte er sie zurücklassen, und sie eilte ihm nach in einer wachsenden Verzweiflung, die sie nicht recht deuten konnte. Ein heftiges Bedürfnis, nicht verlassen zu werden, geliebt, gezeichnet und begehrt zu werden. Ihr Herz schlug für ihn, die Worte, die er zu ihr gesprochen hatte, hallten wie Gebete durch ihren Kopf. Ich werde für dich tun, was ich kann, Mitzy. Sie ist perfekt. Hatte er das gesagt? Hatte er sie als perfekt bezeichnet? Ja, sie war ganz sicher. Wer weiß, was die Zukunft bringen wird? Und sein Gesichtsausdruck, nachdem er das gesagt hatte, so tief in Gedanken und Vorstellungen verloren – offenbar war die Zukunft, die er sah, anders als die Gegenwart. Und er würde Celeste nicht heiraten, er hatte einen guten Grund dafür, das nicht zu tun. Einen Grund, den die Mädchen ihr nicht verraten durften. Weil sie selbst der Grund war? Perfekt. Für dich, Mitzy . Der junge Schwan entpuppte sich am Ende als der schönste von allen.
    Bald hatten sie das geschäftige Herz der Stadt hinter sich gelassen und liefen stille Gassen zwischen eng gedrängten Häusern entlang. Dimity rang nach Luft, und mit jedem Schritt wurden ihre Beine schwerer. Sie erkannte, dass der Weg sie nun bergauf führte, und spürte den Schweiß, der ihren Rücken hinabrann. Sie mussten die Stadt bereits durchquert und den Rand des Tals erreicht haben, ein weiter Weg von ihrem Gästehaus. Die Sonne stand beinahe im Zenit und stach wie spitze Klingen. Schließlich erreichten sie eine Stelle, an der die Gasse zwischen den Wänden links und rechts keinen Meter mehr breit war. Hier war der Schat ten tief und kühl. Dimity konnte dieses Tempo nicht mehr durchhalten, sie gab auf und lehnte sich an eine Mauer, um einen Moment lang zu verschnaufen. Als Charles bemerkte, dass ihre Schritte verstummt waren, blickte er zu ihr zurück, noch immer mit demselben geistesabwesenden Stirnrunzeln.
    »Du brauchst eine Pause, aber natürlich«, sagte er. »Wie gedankenlos von mir.« Er kam zurück, blieb an der Mauer ihr gegenüber stehen und zündete sich eine Zigarette an.
    »Sie sind niemals gedankenlos«, sagte Dimity. Charles lächelte.
    »Du musst der einzige Mensch auf der Welt sein, der das glaubt, und dass du das sagst, ist wohl eher loyal als aufrichtig. Die Menschen, die einem Künstler nahestehen, verlieren oft gegen die Kunst. Das ist unvermeidlich. Manchmal ist in meinen Gedanken einfach nicht genug Platz für alle.«
    »Jeder Mensch braucht Zeit für sich. Um einmal frei atmen zu können und seine Ruhe zu haben. Sonst vergessen wir, wer wir wirklich sind.«
    »Ja! Genau so ist es. Zeit, um frei zu atmen. Mitzy, manch mal überraschst du mich. Man

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