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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Polsterhocker davor. Celeste benutzte ihn als Frisierkommode, und ihr Schmuck und ihre Bürsten, Tiegel mit Gesichtscreme und Puder waren darauf verteilt. In einer kleinen Schachtel mit schwer zu öffnendem Deckel befand sich eine Art weicher Napf aus Kunststoff, etwa so groß wie ein kleiner Eierbecher. Auch der Boden war gerundet, sodass er nicht aufrecht stehen blieb, und Dimity starrte eine Weile darauf hinab und überlegte, wozu er dienen mochte. Schließlich legte sie ihn beiseite und griff nach einem Paar von Celestes silbernen Ohrringen – länglich mit türkisfarbenen Perlen daran. Sie hielt sie sich an die Ohren, steckte sie dann auf ihre Ohrläppchen und schraubte die Verschlüsse von hinten fest zu. Sie fasste ihr Haar zu einem Knoten am Hinterkopf zusammen und bewunderte die Wirkung der Perlen, die auf Höhe ihres Unterkiefers baumelten. Ihr Herz raste vor schlechtem Gewissen und Kühnheit zugleich. Da lagen auch Halsketten. Sie griff nach ihrem Lieblingsstück, einer Kette, die Celeste nur abends zum Essen trug. Die umeinander verschlungenen Schnüre schwarzer und grauer Süßwasserperlen glänzten wie die Haut der Berberin, wenn sie im Licht einer Kerze schimmerten. Dimity zog den Ausschnitt ihres Kaftans weiter auf, damit die Perlen kühl und schwer auf ihrer eigenen Haut liegen konnten. Neben dem Frisiertisch stand ein kunstvoll geschmückter hölzerner Wandschirm, über den Celeste ihr Nachthemd und ein paar andere Sachen dra piert hatte – die Tücher, die sie manchmal um Kopf oder Hüfte schlang, die Gürtel und Schärpen, mit denen sie ihre Gewänder schloss. Dimity suchte sich sorgfältig ein Tuch aus, einen hauchzarten, durchscheinenden Schleier aus cremefarbener Seide, an dessen Saum glänzende kleine Münzen befestigt waren. Sie drapierte ihn über ihren Kopf, sodass er ihr Haar bedeckte, und begutachtete die Wirkung im Spiegel. Angetan mit Kaftan, Schmuck und Schleier, erkannte sie sich kaum wieder. Haselnussbraune Augen mit dichten, dunklen Wimpern, reine Haut, und die leichten Schatten unter ihren Augen, die der unruhige Schlaf der ver gangenen Nacht hinterlassen hatte, fügten dem Gesamteindruck noch eine besondere Zartheit hinzu, eine aparte Verletzlichkeit.
    Lange starrte sie ihr schummrig beleuchtetes Spiegelbild an. Sie starrte in die Augen einer jungen Frau, einer Schön heit, einer Geliebten, überschüttet mit den Geschenken ihres Verehrers.
    »Ich bin Dimity Hatcher«, sagte sie leise und beobachtete, wie sich ihre Lippen bewegten. So üppig und weich sahen sie aus. Sie stellte sich vor, wie Charles’ Lippen die ihren berührten und wie sich das für ihn angefühlt hatte. Ihr Herzschlag pulsierte zwischen ihren Schenkeln. »Ich bin Dimity Hatcher«, wiederholte sie. Dann sagte sie: »Ich, Dimity Hatcher.« Sie hielt inne und zog den Schleier ein Stück herunter, bis er wie ein Brautschleier wirkte. Die Sil bermünzen blitzten. »Ich, Dimity Hatcher, nehme dich, Charles Henry Aubrey …« Ihre Kehle stach und brannte, als sie die Worte laut aussprach, und sie zu hören ließ ihr Herz so heftig klopfen, dass sie am ganzen Körper bebte. Sie räusperte sich vorsichtig und wiederholte ein wenig lauter: »Ich, Dimity Hatcher, nehme dich, Charles Henry Aubrey, zu meinem angetrauten Ehemann …« Hinter sich hörte sie jemanden scharf nach Luft schnappen. Bestürzt suchte Dimity das Bild im Spiegel ab und entdeckte darin Celeste, die in der Tür stand.
    Eine grauenvolle, spannungsgeladene Pause entstand, als sich ihre Blicke trafen. In diesem erstarrten Augenblick spürte Dimity, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht wich. Celestes Mund stand leicht offen, und ihre Augen waren so weit aufgerissen, dass sie weiß schimmerten. »Ich wollte nur …«, begann Dimity, doch Celeste fiel ihr ins Wort.
    »Zieh meine Sachen aus«, flüsterte sie. Ihre Stimme war kälter als der bitterste Winter. »Zieh sie aus. Sofort.« Mit zitternden Händen bemühte Dimity sich, ihr zu gehorchen, doch sie war nicht schnell genug. Mit drei raschen Schritten war Celeste bei ihr und zerrte ihr so grob den Schleier vom Kopf, dass sie eine dicke Strähne Haare mit ausriss. Dann fummelte sie am Verschluss der Kette herum, die sich in Dimitys Hals grub, so ungeduldig zerrte Celeste daran.
    »Celeste, bitte! Vorsicht – Sie machen sie noch kaputt!«, rief sie, doch in Celestes Gesicht loderte eine Wut, wie Dimity sie noch nie zuvor gesehen hatte, und die Frau ließ nicht locker, bis die Kette nachgab. Sie zerriss,

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