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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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»Aber das Bild ist gut … Es ist gut. Ich dachte nur … Wie dumm von mir. Ich dachte, ich würde mich so sehen, wie ich war. Wie ich auf all den anderen Bildern aussehe, die Sie mir gebracht haben. Dass ich wieder schön sein würde.«
    »Aber das sind Sie. Viel schöner, als ich Sie darstellen konnte. Das liegt allein am Künstler, nicht am Modell, Dimity«, sagte Zach.
    »Aber das bin ich. Sie haben mich gut getroffen. Sie sind sehr talentiert«, erklärte sie und nickte bedächtig. Zach lächelte, ermuntert durch dieses Urteil. »Würden Sie ein Abendessen als Bezahlung dafür annehmen?«
    »Sie möchten es behalten?«, fragte Zach.
    »Ja, wenn ich darf. Es wird immerhin das letzte sein. Wer sonst sollte mich noch zeichnen, bis es mit mir vorbei ist?« Sie lächelte traurig, doch Zach freute sich darüber, wie viel ruhiger sie jetzt wirkte als vorhin bei seiner Ankunft. Als hätte es ihre aufgewühlte Seele besänftigt, von jemandem gezeichnet zu werden.
    »Also gut, einverstanden. Was gibt es denn?«
    Es war sehr spät, als er sich schließlich von Dimity verabschiedete. Er bedankte sich für das Essen – Speck, Spiegeleier und Gemüse – und antwortete nicht auf ihre Frage, wann er wiederkommen würde. Es war dunkel draußen, doch nach einer Weile stellte er fest, dass er in dieser grünlichen Finsternis recht gut sehen konnte, obwohl er keine Taschenlampe dabeihatte. Der Hügel hinter dem Wohn haus der Southern Farm war mit Portland-Schafen gespren kelt, deren Lämmer sich dicht bei ihren Müttern hielten. Hin und wieder hörte er ihre Rufe, kehlig und klagend. Er empfand so etwas wie Zuneigung für sie, beinahe Stolz. Als hätte er, indem er beim Lammen geholfen und mit ihrer Herrin geschlafen hatte, eine gewisse Verantwortung für sie übernommen. Das sind nicht deine Schafe, und sie ist nicht deine Freundin. Das ist nicht dein Leben, ermahnte er sich streng. Es war an der Zeit, den schönen Tagtraum von Elise zu verbannen, die vor einem Becher heißer Schokolade an Hannahs Küchentisch saß. Der würde sich offensichtlich nie verwirklichen. In seinem Traum war die Küche sauber, ordentlich, gemütlich. Keine Müllhalde, kein Denk mal für Hannahs Verlust und Trauer. So vorsichtig wie mög lich schnitt er diese Bilder aus seinem Geist heraus, doch es tat trotzdem weh. Die Brise fuhr ihm mit feuchten Fingern unter den Kragen, und eine plötzliche Woge der Einsamkeit erfasste ihn. Ein Waldkauz auf der Jagd flog über die Weide und suchte sie im Zickzack auf lautlosen Schwingen nach Beute ab. Zach beneidete ihn um seine Zielstrebigkeit.
    Spontan wandte er sich den Klippen zu. Ein weiterer Abschied, erkannte er. Er blieb stehen und lauschte dem unsichtbaren Meer. Es wehte ein frischer Wind, und die Wellen an den Felsen klangen hastig, ungeduldig. Wenn er ganz genau hinsah, konnte er gerade noch die weißen Kämme erkennen, wo sie sich schäumend am Ufer bra chen. Und dann blinkte ein anderes Licht wie ein Edelstein vor dem schwarzen Hintergrund auf. Zach blinzelte und glaubte schon, er hätte sich das nur eingebildet. Doch dann sah er es wieder – jenseits des Strandes, draußen auf dem Wasser. Nein, es kam nicht vom Wasser, merkte er dann, sondern von dem Felsendamm. Der Strahl einer Taschenlampe, der wie eine Lanze übers Wasser hinwegschoss. Zach stockte der Atem. Er konnte die Lichtquelle nicht genauer sehen, weder eine Hand noch einen Arm, nur den glitzernden Lichtstrahl auf dem Wasser, der sich in die Dunkelheit hinauszog. Aber er wusste, er wusste ein fach, dass es Hannah war. Der Himmel war bedeckt, keine Sterne spendeten Licht, kein Mond tauchte die Szene in seinen Schimmer. Es herrschte kalte, harte Dunkelheit – perfekt dazu geeignet, Geheimnisse zu wahren. Es war Dienstagabend.
    Eine Minute verging, und noch eine. Der Wind blähte Zachs offene Jacke und fuhr kalt darunter. Er stand da wie angewurzelt, und sein Herz pochte unangenehm. Und dann erschien ein weiteres Licht draußen auf dem Wasser. Es kam von weiter westlich – der einzelne, stärkere Strahl eines Scheinwerfers. Ein Boot manövrierte in weitem Bogen vor der Bucht und kam dann geradewegs auf die Taschenlampe zu, langsam und gleichmäßig und leicht links vom Felsen damm. Im winzigen Lichtfleck von Hannahs Taschenlampe erkannte Zach die große Gestalt eines Mannes in gelbem Ölzeug, eine weiße Bootswand, einen orangefarbenen Rettungsring. Als das Boot die äußere Seite des Felsendamms erreichte und anhielt, erloschen beide

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