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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Woche verschwunden, und allmählich macht man sich Sorgen um sie. Wenn jemand sie gesehen hätte, dann Sie, hat man mir gesagt. Sofern sie hierher zurückgekommen sein sollte.« Die Frau betrachtete ihre Umgebung, von der Klippe über das Wäldchen bis zu dem kleinen Haus, als könnte sie nicht begreifen, weshalb jemand das tun sollte. Ihre Aussprache war geradezu schneidend geschliffen.
    »Ich habe sie nicht gesehen«, sagte Dimity. Sie versuchte, tief Luft zu holen, doch ihre Lunge schien geschrumpft zu sein. Sie versuchte es noch einmal, und ihr wurde schwindelig. »Wo ist Charles? Warum ist er nicht selbst gekommen, um sie zu suchen?« Sofort wurde Celias Blick scharf, und sie starrte Dimity einen Moment lang durchdringend in die Augen.
    »Nun sagen Sie mir nicht, dass Sie auch eine von seinen …?« Sie schürzte verbittert die Lippen. Dimity nickte trotzig. »Tja, sieh an. Sie werden immer jünger.« Sie sprach in beiläufigem Tonfall, aber Dimity entging nicht, wie ihre Hände sich so fest umeinanderschlangen, dass sie zitterten. »Und um Ihre Frage zu beantworten, Charles ist nicht selbst gekommen, weil der verdammte Narr sich freiwillig bei der Armee verpflichtet hat und nach Frankreich an die Front geschickt wurde. Was sagt man dazu?« Sie zog die Augenbrauen hoch, und unter ihrer vornehmen Kühle blitzte die Panik eines gefangenen Tieres hervor. Dimity erkannte sie sofort, denn sie fühlte sie auch.
    »An die Front?«, echote sie atemlos.
    »Ja, das war auch meine Reaktion. Ein Leben lang pazifis tische Ideale hochhalten und Reden über die Übel des Krieges schwingen, und beim ersten Anzeichen einer schmerzlichen Erfahrung zieht er los.«
    »In den Krieg?«, fragte Dimity. Celia runzelte die Stirn und schien zu überlegen, wie viel sie ihr sagen sollte.
    »Ja, Kind, in den Krieg. Falls Sie also geglaubt haben, er hätte irgendwelche Pläne für Sie, werden Sie leider eine Enttäuschung erleben, fürchte ich«, erklärte sie sanft. »Und mir bleibt es offenbar überlassen, kreuz und quer durchs Land zu jagen und nach einem seiner kleinen Bastarde zu suchen. Das arme Kind, aber wenn die Mutter sich schon nicht dazu bequemt, nach dem Mädchen zu suchen, finde ich es doch etwas viel verlangt, das von mir zu erwarten.« Sie zog den Kragen ihres Mantels enger zusammen, und ihr Atem dampfte in der eisigen Luft.
    »Sind Sie – Delphines Lehrerin?«, fragte Dimity nach einer Pause. Sie bemühte sich, die Gegenwart der Frau und das, was sie ihr gesagt hatte, zu verarbeiten. Auf dem Gesicht der Fremden malte sich ungeduldige Gereiztheit.
    »Nein, Kind, ich bin Charles’ Ehefrau . Gott steh mir bei.« Sie blickte mit zusammengekniffenen Augen zum Horizont über dem Meer hinaus. »Aber wer weiß, wie lange ich das noch bleiben werde?« Dimity starrte sie an. Die Frau re dete Unsinn. Die Ruhe in Dimitys Kopf wurde so vollkommen, dass nichts sie stören konnte. Die geschliffenen Worte tropften von ihr ab wie schmelzender Schnee. »Also, falls Sie Delphine sehen sollten, rufen Sie mich bitte an und lassen es mich wissen, ja? Hier ist meine Karte. Ich notiere Ihnen Charles’ Regiment und Kompanie auf der Rückseite, damit Sie – nach Neuigkeiten Ausschau halten können. Oder ihm schreiben, wenn Sie wollen. Seltsam, dass er Ihnen so gar nichts gesagt hat. Aber Charles ist sowieso recht seltsam geworden. Als ich ihn zuletzt gesehen habe, konnte er kaum einen vollständigen Satz bilden.« Sie presste kurz die Lippen zusammen, holte einen Stift hervor und schrieb etwas auf eine längliche Karte, die sie Dimity anschließend in die erschlaffte Hand drückte. »Viel Glück wünsche ich Ihnen. Und versuchen Sie, ihn zu vergessen. Schwierig, ich weiß, aber es ist besser so.« Sie wandte sich ab und ging zu dem wartenden Taxi.
    Später an diesem Tag platzte unvermittelt ein Lied, das Dimity von klein auf kannte, in die Stille in ihrem Kopf und flitzte darin herum wie ein Tier im Käfig. Es hallte durch ihren ansonsten leeren Geist. Da hört’ ich eine schöne Maid gar kläglich lamentieren, mein Jimmy wird im Kriege fallen, ach, mir ist so bang … Jimmy wird im Kriege fallen, ach, mir ist so bang. Die Liedzeile wälzte sich immer wieder heran wie eine Welle, die sich am Ufer bricht. Charles war in den Krieg gezogen. Er war jetzt ein Held, ein tapferer Soldat, und sie die arme Frau, die zu Hause zurückgeblieben war und um ihn bangte. So fügte Dimity sich fein säuberlich in diese Geschichte ein. Sie war so müde, dass sie

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