Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
du das. Das sehe ich dir an. Wie dumm von dir, dabei hast du noch nicht einmal das Bett mit ihm geteilt – und das hat nicht lange etwas Neues zu bieten, glaube mir. Aber jetzt hör mir mal gut zu – das hier ist mein Haus, nicht deines, und darin ist kein Platz für einen Kerl. Schon gar nicht für einen, der nichts verdienen kann und uns alle ins Gefängnis bringen wird. Hast du mich verstanden? Er bleibt nicht hier.«
»Doch.«
»Nein. Geht das jetzt endlich in deinen Dickschädel? Pack dich mit ihm nach Littlecombe, wenn du willst. Hier wird dich niemand vermissen.«
»Da können wir nicht wohnen, das würde auf jeden Fall jemandem auffallen. Die Miete muss bezahlt werden, und die Leute im Dorf würden sehen, dass Licht brennt …«
»Tja, das ist wohl nicht mein Problem. Davon habe ich weiß Gott schon genug, aber dieser Mann gehört nicht dazu. Mach mit ihm, was du willst, aber schaff ihn aus dem Haus.«
»Ma, bitte …« Dimity spürte, wie diese Worte sie halb erstickten. Sie wusste, dass Betteln bei Valentina vergeblich war, und probierte es nur aus schierer Verzweiflung dennoch. Dabei wand sie sich innerlich, so verabscheute sie es. Sie griff nach den Händen ihrer Mutter und versuchte, Valentina irgendwie zur Einsicht zu bringen. »Bitte …« Doch Valentina zog ihre Hände zurück und hob warnend den Zeigefinger. Der fleckige Nagel erinnerte Dimity an einen Fluch.
»Bis morgen früh ist er weg – er oder ihr alle beide, das ist mir gleich. Sonst gehe ich selbst und zeige ihn an. Hast du verstanden?«
Die Nacht war lang und pechschwarz. Dimity schlief nicht. Sie badete Charles von Kopf bis Fuß und verbrauchte dabei eine Schüssel warmes Wasser nach der anderen und sämtliche Waschlappen und Handtücher im Haus. Sie spülte Matsch und Fett aus seinem Haar und entfernte mit einem feinen Kamm so viele Läuse und Nissen wie möglich. Sie weichte das geronnene Blut an seiner Wange auf, säuberte die Wunde und nähte sie so ordentlich, wie sie konnte. Charles zuckte nicht mit der Wimper, wenn die dicke Nadel seine Haut durchstach. Dimity wusch jede Spur von Schmutz und Gestank von seiner Haut und spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg, als sie ihm die Hose auszog und zum ersten Mal seinen nackten Körper sah. Charles fand offenbar nichts Unstatthaftes daran und ließ sich ihre Behandlung ruhig und gehorsam gefallen. Sie schnitt ihm die Zehennägel und entfernte den Schmutz unter seinen Fingernägeln mit einer kleinen Bürste. Ein Zittern lief durch seine Arme und Hände, ein ständiges Schaudern. Es weckte Erinnerungen an Celeste, die Dimity sorgsam ignorierte. Ihre eigenen Hände führten jede Bewegung mit ruhiger Ge wissheit aus. Seine Kleidung würde sie verbrennen und ihm neue beschaffen müssen. Sie wusste auch sofort, an welchen Wäscheleinen sie sich bedienen konnte, leicht und unbemerkt. Schließlich schlief Charles ein, nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, aber fest in eine Decke gewickelt. Dimity betrachtete ihn lange und fuhr mit den Fingerspitzen zärtlich die Konturen seines Gesichts entlang. Sie bemerkte nicht, dass er zu still war, nahm die Leere hinter seinen Augen nicht wahr. Sie bemerkte nicht, dass das Feuer, das einst in ihm gelodert hatte, erloschen war. Sie wusste nur, dass er hier war, bei ihr.
Schließlich ließ sie ihn allein. In ihrem Bett war nicht genug Platz für zwei, aber sie wollte sich ohnehin nicht hinlegen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt so hellwach gefühlt hatte. Sie räumte und putzte die Überbleibsel von Charles’ ausgiebigem Bad weg, brachte seine Sachen hinaus auf den Hinterhof und warf sie auf den Haufen zum Verbrennen. Bald würde die Sonne aufgehen. Ein zarter grauer Schimmer schob sich schon über den schwarzen Himmel. Beinahe Mittsommer, und die Nächte waren kurz und lieblich. Das Jahr näherte sich dem Höhepunkt, der Wende. Ein glückverheißender Zeitpunkt, eine Zeit des Wandels. Dimity spürte es in ihrem Blut, ihren Knochen. The Watch war still, und sie nahm wahr, wie das Haus sie beobachtete. Stroh und Putz, Holz und Stein. Und Valen tina, sein hartes Herz. Die Dimity stets im Auge hatte, scharf wie ein Wachhund. Sie goss sich ein Glas Milch ein, trank es langsam, spülte das Glas und ging hinauf, zum Schlafzimmer ihrer Mutter.
Valentina schlief tief und fest, die Arme über den Kopf gereckt und das Haar über das ganze Kissen verteilt. Sie hatte genug Kissen für zwei, als sei das Bett halb leer und warte nur
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