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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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darunter festgetrocknet war. Die Wunde sah tief und ent zündet aus – Dimity glaubte, den gespenstischen grauen Umriss des Knochens durchschimmern zu sehen. Beinwell, dachte sie sofort. Mit Salzwasser reinigen, nähen, und dann Beinwell zur Linderung. Sie ging zu ihm, kniete sich hin und legte den Kopf in seinen Schoß. Er stank nach Urin und Schweiß, nach Angst und Tod. Dimity war das egal. Sie spürte den Druck seines Oberschenkelknochens durch die Hose, und alles war vollkommen.
    »Ich bin entkommen«, sagte er nach diesem langen, stillen Augenblick. Dimity blickte zu ihm auf und berührte sein verhärmtes Gesicht mit den Fingerspitzen. Ihr ganzes Herz gehörte ihm, schlug nur für ihn. Sie wollte ihn in die Arme nehmen und nie wieder loslassen. Er hatte einen seltsamen, leeren Glanz in den Augen, den sie von ihm nicht kannte. Er sah aus, als hätte er Dinge gesehen, die ihm auf ewig vor Augen stehen würden. Er sagte weder ihren Namen, noch wirkte er überrascht, sie zu sehen. »Ich bin entkommen«, wiederholte er. Dimity nickte und verbiss sich ein stürmisches, glückliches Schluchzen. Also war er frei, endlich.
    »So ist es, mein Liebster. Und jetzt werde ich mich um dich kümmern. Ich muss ein paar Sachen für diese Schnittwunde in deinem Gesicht holen. Ich brauche Nadel und Faden und Salz, um sie zu reinigen …« Er packte sie am Handgelenk, als sie sich aufrichtete. Blitzschnell wie eine Schlange.
    »Niemand darf es wissen! Ich kann nicht dorthin zurück … Ich kann nicht wieder zurück, hörst du?« Seine Stimme war heiser vor Angst.
    »Sie können dich wohl kaum dazu zwingen, oder?«
    »Doch … Sie können mich wieder dorthin schicken. Das werden sie auch tun! Aber ich kann nicht!« Seine Finger bohrten sich schmerzhaft in ihren Arm, sie fühlten sich an wie der Biss eines Tieres, hart und instinktgetrieben. Sie versuchte nicht, sich loszureißen, sondern besänftigte ihn mit gemurmelten Worten und strich ihm übers Haar, bis er sich beruhigt hatte.
    »Dann werde ich dich verstecken, mein Liebster. Niemand wird erfahren, dass du hier bei mir bist. Ich beschütze dich, das verspreche ich dir.« Allmählich lockerten sich seine Finger, dann ließ er sie los und starrte wieder auf den Boden, mit einem Blick so leer wie weiße Leinwand.
    »Du kommst doch zurück, nicht wahr?«, fragte er, als sie schließlich zur Tür ging. Dimity fühlte sich so stark wie nie zuvor, selbstsicherer, vollständiger. Ganz leicht und sanft wurde jetzt alles richtig, als ergäbe es sich von selbst. Sie lächelte.
    »Natürlich, Charles. Ich suche dir einen warmen Mantel, und dann gehen wir hinüber zu The Watch.«
    »Na, hier kann er aber doch nicht bleiben?«, sagte Valentina, hielt sich gegen den Gestank die Nase zu und kniff die Augen zusammen. Dimity lenkte ihre Mutter aus ihrem Zimmer, wo Charles in ihrem schmalen Bett lag, und schloss leise die Tür hinter sich.
    »Er bleibt hier. Er ist mein Mann, und ich werde mich um ihn kümmern.« Sie starrte ihre Mutter an, und Valentina erwiderte den Blick. Dimity holte rasch Luft und ließ die Arme locker herabhängen, die Ärmel hochgerollt, bereit zu kämpfen. Ihr Herz pochte langsam und schwer.
    »Er bleibt nicht hier, verstanden? Einem Deserteur Un terschlupf gewähren? Genug Leute hier aus der Gegend wür den sich auf diese Chance stürzen, uns Scherereien zu ma chen. Begreifst du das nicht? Was glaubst du denn, wie lange du ihn verborgen halten kannst, hm? Die Leute hier bekom men doch alles mit. Jemand wird ihn sehen …«
    »Die Einzigen, die herkommen, sind deine Besucher«, murmelte Dimity finster.
    »Verdammt richtig, Mädchen! Und wir wollen doch nicht vergessen, dass wir dank dieser Besucher ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch haben, und das reicht kaum für zwei, auch ohne dass wir noch einen unnützen Mann durchfüttern.«
    »Du verdankst ihnen vielleicht den Apfelwein in deinen Adern, aber für das Essen sorge ich schon auch!« Dimity war auf die Ohrfeige vorbereitet. Sie fing die Hand ihrer Mutter ab und hielt sie mitten in der Luft fest. Ihrer beider Arme zitterten vor Anspannung. Valentina bleckte die Zähne.
    »Ah, habe ich endlich etwas gefunden, worum du zu kämp fen bereit bist. Das Wrack da drin? Ernsthaft? Der Kerl, der nach seiner eigenen Pisse stinkt und beim leisesten Geräusch zusammenzuckt? Dafür willst du dich mit mir anlegen, nach all diesen Jahren?«
    »Ja!« Dimity zögerte keinen Augenblick.
    »Du liebst ihn, jedenfalls glaubst

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