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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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zwischen vier Schiebefenstern, und diese Fensterreihe wiederholte sich im ersten Stock. Die Bewegung, die er wahrgenommen hatte, war ein kleiner Geländewagen, der auf den größeren Hof gefahren war. Der Fahrer stieg aus, um das Tor wieder zu schließen, und Zach stellte ein wenig überrascht fest, dass es sich um eine Frau handelte. Sie war klein und schlank – eine Figur, die nicht recht zu einer Bäuerin passen wollte. Mit eiligen Schritten ging sie zum Hoftor, und da die Brise gerade abflaute, hörte Zach das misstönende Scheppern, mit dem das Tor zuschlug. Die Frau machte rasch kehrt, und er sah einen Schopf dunkler Locken, schulterlang und notdürftig mit einem hellgrünen Kopftuch gebändigt. Als sie wieder in ihren Jeep steigen wollte, hielt sie aus irgendeinem Grund inne. Abrupt blickte sie zum Haus herauf, und Zach, der sich gar nicht bewegt hatte, erstarrte trotzdem. Er fühlte sich dabei ertappt, wie er eine Fremde beobachtete. Beinahe hätte er sich schuldbewusst abgewandt, doch die Haltung, in der die Frau ebenfalls erstarrt war, ließ ihn zögern. Da standen sie, etwa achthundert Meter voneinander entfernt, und fixierten einander. Zach war überzeugt davon, ihre Irritation spüren zu können. Vielleicht war sie überrascht, jemanden hier oben vor dem Haus zu sehen. Sie blieben beide noch einen Augenblick lang so stehen, dann stieg die Frau in den Geländewagen und zog mit einem dumpfen Knall die Fahrer tür zu. Das Geräusch des Motors trug der Wind davon, doch als sie in Richtung des Hauses losfuhr, sah er etwas Helles im Seitenfenster aufblitzen – ihr Gesicht, als sie sich noch einmal nach ihm umschaute.
    Den restlichen Nachmittag spazierte Zach, tief in Gedanken versunken, auf dem Klippenpfad in Richtung Westen entlang. Er musste sich seine Notizen noch einmal vornehmen, das Buch neu strukturieren. Ein ganz anderes Format war jetzt möglich, ein neuer Blickwinkel. Es könnte sich ganz den letzten Lebensjahren des Künstlers widmen – seinen Jahren in Blacknowle. Die meisten Fachleute waren der Ansicht, dass Aubrey auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Fähigkeiten gestorben war. Die Bilder, die in Blacknowle entstanden waren, und die Porträts – hauptsächlich Auftragsarbeiten, die er während dieser letzten Jahre in seinem Atelier in London vollendet hatte – stellten den Hauptteil seines Werkes dar, den besten Teil. Über seine Kindheit und Jugend, seine Ausbildung, die frühen Jahre seiner Künstlerkarriere, seine zahlreichen Geliebten war bereits alles bekannt. Aber niemand hatte je zuvor Dimity Hatcher ausfindig gemacht. Er rief sich rasch die bekannten Bilder ins Gedächtnis und zählte zusammen. So spontan fielen ihm fünfundzwanzig Zeichnungen von dem jungen Mädchen ein, alle in den Dreißigern entstanden. Außerdem war sie auch auf drei großen Ölgemälden dargestellt – auf einem als Berberin, umgeben von einer Wüstenlandschaft. Auf dem zweiten erschien sie beinahe feenhaft neben einer Ruine in einer Szene tief im Wald. Auf dem dritten war sie ganz sie selbst – sie ging den Strand entlang, und in dem Korb, den sie auf der Hüfte trug, lag etwas Dunkles, bei dem Zach sich schon immer gefragt hatte, was es wohl sein mochte. Jetzt konnte er sie danach fragen, dachte er aufgeregt. Dimitys hohem Alter zum Trotz schienen ihre Erinnerungen an jene Zeit erstaunlich deutlich zu sein. Vielleicht – nein, ganz sicher sogar – würde sie noch wissen, wer Dennis war, dieser junge Mann mit dem unbestimmten Gesichtsausdruck, den der Künstler nicht hatte festhalten können.
    Als Zach ins Wirtshaus zurückkehrte, zeigte Pete Murray ihm sein Zimmer. Der Wirt musste den Kopf einziehen, um sich nicht an den tief hängenden Balken im oberen Stock zu stoßen. Das Zimmer lag ganz am Ende des Flurs, von der Bar aus gesehen auf der anderen Seite des Hau ses. Es hatte ein kleines Doppelbett mit einer Patchworkd ecke darauf, und die Dekoration folgte dem Leitmotiv der See – Schiffsmodelle und ein getrockneter Seestern auf einem Regalbrett, hellblaue Wände, Vorhänge mit Seepferdchendruck. Etwa eine Stunde später aß Zach an einem Tisch mit Blick auf die Bar eine Portion Fischpastete, umgeben vom Summen einer bescheidenen Schar einheimischer Gäste. Ein paar Leute nickten oder lächelten ihm zu, doch niemand versuchte, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Zweifellos hielten sie ihn für einen Urlauber, nur auf der Durchreise und nicht der Mühe wert, ihn näher kennenzulernen.
    Leute mit Hunden

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