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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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durch Europa gereist war, um Leute zu heilen und ihnen die Zukunft vorauszusagen. Da war es doch seltsam, dass sie ihr Haar blond haben wollte, aber der Naturton war nun einmal nicht das glänzende, feurige Brünett einer Zigeunerin, sondern ein trauriges Mausbraun. Dieser Geruch gehörte zu Dimitys frühesten Erinnerungen – der durchdringende Gestank von Bleiche, der das ganze Haus erfüllte. Valentina benutzte dazu einen Zinnbottich auf dem Küchentisch, um den sie überall Lumpen ausbreitete, um Spritzer sofort weg wischen zu können. Dimity drückte sich oft in der offenen Küchentür herum, um ihr fasziniert dabei zuzuschauen. Doch sie bemühte sich, nicht gesehen zu werden, denn wenn ihre Mutter sie durch ein zusammengekniffenes, nur einen winzigen Spalt geöffnetes Auge entdeckte, würde sie ihr helfen müssen.
    »Reich mir mal das Handtuch – nein, das andere! Wisch es mir vom Nacken!« Sie bellte ihre Befehle immer heraus wie ein Terrier. Dimity stellte sich dann auf einen wackeligen Stuhl und wischte das zähflüssige, ätzende Zeug von der Haut ihrer Mutter. Sie konnte es nicht ausstehen, und wenn etwas davon an ihre Finger kam, weinte sie schon, bevor es überhaupt zu brennen anfing.
    Aber wenn ihre Mutter fertig war, sah ihr Haar prächtig aus, zumindest eine Zeit lang. Wie das Haar einer Meerjungfrau, leuchtend wie Goldmünzen. Valentina setzte sich vors Haus, um es trocknen zu lassen, das Gesicht dem Himmel und der sanften Brise entgegengereckt. Sie raffte den Rock bis über die kräftigen Knie, damit die Sonne ihr die Beine wärmte, während sie eine Zigarette rauchte.
    »Werden noch Schiffe an den Felsen zerschellen, wenn du so dasitzt, Val Hatcher«, bemerkte Marty Coulson ein mal, als er auf seinen krummen Beinen den Pfad entlangkam, die Tweedmütze bis auf die Ohren herabgezogen. Dimity gefiel sein Grinsen nicht. Marty Coulson grinste immer so, wenn er The Watch besuchte. Doch wenn Dimity ihm im Dorf begegnete, schaute er mit starrer Miene weg, als wäre sie unsichtbar.
    »Du kommst zu früh«, erwiderte Val gereizt. Marty blieb an der Haustür stehen und zuckte mit einer Schulter. Val drückte ihre Zigarette aus, stand auf und klopfte sich Gras halme vom Rock. »Mitzy – geh ins Dorf. Kauf bei Mrs. Boyle einen Kuchen, zum Tee.« Valentina fixierte Marty Coulson mit unfreundlichem Blick, bis er die Hand in die Tasche steckte, einen Shilling herausfischte und ihn Dimity gab. Dimity freute sich jedes Mal, wenn sie etwas in Blacknowle besorgen sollte. So kam sie einmal von ihrem Häuschen fort, wenigstens eine Weile, und sah andere Menschen als immer nur ihre Mutter.
    Sie war schon mit fünf, sechs Jahren allein losgeschickt worden, um einfache Botengänge zu erledigen: Tee kaufen oder ein geheimnisvolles, in Papier gewickeltes Päckchen abliefern. Einen Talisman oder einen Zauber. Einen eigens angefertigten Besen, der dann in einen Türstock eingemauert wurde, um Glück zu bringen. Verschrumpelte Stückchen Kaninchenfell, die man auf Warzen rieb und danach vergrub, damit die Warzen verschwanden. Die Leute sahen sie nicht gern an ihren Türen, niemand sollte wissen, dass sie etwas bei Valentina gekauft hatten. Sie nahmen, was Dimity ihnen brachte, und scheuchten sie wieder fort, nachdem sie hastig zu beiden Seiten die Straße entlanggespäht hatten. Aber sie konnten nicht anders. Wenn sie Glück brauchten, ein Baby bekommen oder eines loswerden wollten, wenn ihnen nur ein Wunder helfen konnte oder eine Katastrophe, dann versuchten sie es mit Valentinas Mitteln zusätzlich zu ihren Gebeten. Doppelt hält besser , schnaubte Valentina verächtlich, wenn jemand verstohlen The Watch besucht und eilig wieder verlassen hatte. Noch häufiger schoben die Leute Zettel mit ihrer Bitte unter der Tür hindurch und liefen dann weg. Ich hoffe, der Schweiß juckt ihnen ordentlich im Rücken, wenn sie am Sonntag brav den Pfarrer anlächeln. Anfangs verlief Dimity sich häufig, aber schon nach kurzer Zeit kannte sie sämtliche Routen, alle Straßen, Pfade und Abkürzungen über Felder und Wiesen. Sie lernte die Namen von Valentinas Kunden und wer wo wohnte, und schon bald wusste sie im Voraus, wer ihr einen halben Penny für ihre Mühe geben und wer ihr die Tür vor der Nase zuschlagen würde.
    Als sie noch sehr jung gewesen war, hatte Valentina sie bei spezielleren Aufgaben noch begleitet – suchen, sammeln, pflücken. Sie lernte, an welchem Bach man am besten Brunnenkresse erntete, gut zur Stärkung und zur

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