Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
verlassen?«
»Sie hat mich nicht mehr geliebt. Ich glaube, das kam zuerst – die Liebe ist erloschen. Und dann konnte sie auf einmal meine vielen Fehler und Schwächen klar erkennen.«
»So ein schlechter Kerl scheinen Sie mir gar nicht zu sein.«
»Ali hat – hohe Ansprüche, könnte man sagen. Jetzt hat sie jemanden kennengelernt, der ihnen besser gerecht wird, als ich es je konnte.« Zach lächelte kurz. »Schon seltsam – Sie wissen ja, was man über den ersten Eindruck sagt? Ich glaube, das war das Problem bei mir und Ali. Wir haben uns auf einer Ausstellung mit Zeichnungen des zwanzigsten Jahrhunderts kennengelernt – ich war der Kurator. Ich konnte ihr ausführlich erklären, warum genau ein bestimmtes Werk so hervorragend war, der Künstler so großartig. Wahrscheinlich habe ich sehr einfühlsam und leidenschaftlich gewirkt – feinsinnig, erfolgreich, aufstrebend. Und von da an ging es in Alis Augen wohl nur noch bergab.«
Dimity schien eine Weile darüber nachzudenken.
»Die Herzen der Menschen – anderer Menschen … Anscheinend füllen sie sich mit Liebe und leeren sich wieder, so wie die Flut in der Bucht kommt und geht. Das habe ich noch nie verstanden. Mein Herz hat sich nie verändert. Es hat sich gefüllt, und es ist voll geblieben. Voll ist es auch jetzt noch … Auch jetzt noch«, erklärte sie heftig.
»Ja, meines auch, noch lange nachdem sie mich verlassen hatte. Es hat sich angefühlt wie das Ende der Welt.« Zach lächelte traurig. »Auf einmal kam mir alles, was ich tat oder zu tun versuchte, so sinnlos vor, verstehen Sie?«
»Ja. Ja, das kenne ich.« Dimity nickte nachdrücklich. Zach zuckte mit den Schultern.
»Aber allmählich ist dieses Gefühl – verblasst, könnte man wohl sagen. Man kann sich nicht ewig nur wünschen, alles wäre anders. Man selbst wäre anders. Irgendwann muss man es hinter sich lassen.«
»Und, haben Sie das?«
»Es hinter mir gelassen? Ich weiß nicht. Ich versuche es, aber das ist leichter gesagt als getan. Es ist einer der Gründe, weshalb ich hier bin – in Blacknowle. Ach ja, das wollte ich Ihnen vorhin schon erzählen – ich schreibe ein Buch über Charles Aubrey.« Dimity blickte bei seinen letzten Worten auf, und ihre Augen weiteten sich erschrocken. »Ich werde nichts schreiben, von dem Sie nicht möchten, dass es in dem Buch steht, das verspreche ich Ihnen. Ich will nur die Wahrheit über ihn berichten …«
»Die Wahrheit? Die Wahrheit? Wie meinen Sie das?« Dimity mühte sich aus ihrem Sessel hoch, und als sie vor ihm stand, trat sie leicht von einem Fuß auf den anderen. Auf einmal wirkte sie völlig verängstigt.
»Nicht doch – bitte … Hören Sie, ich will Ihnen nicht Ihre Erinnerungen an ihn rauben. Wirklich nicht. Und falls wir uns über ihn unterhalten und Sie mir etwas erzählen, aber nicht möchten, dass ich es aufschreibe oder festhalte, dann werde ich das auch nicht tun. Versprochen«, wiederholte er eindringlich.
»Was nützt es Ihnen dann? Was wollen Sie von mir?«, fragte sie. Zach überlegte sich seine Antwort sehr sorgfältig.
»Ich will … Ich will ihn nur besser kennenlernen. Den Menschen Charles Aubrey scheint nämlich niemand wirklich zu kennen. Nur die öffentliche Persona, all das, was jeder sehen konnte. Aber Sie kannten ihn, Dimity. Und Sie haben ihn geliebt. Bitte. Sie können mir einfach von dem Charles erzählen, den Sie kannten.« Eine Pause entstand, in der Dimity an ihren Haarspitzen zwirbelte und sich dann wieder setzte.
»Ich kannte ihn besser als sonst irgendwer«, sagte sie schließlich.
»Ja«, stimmte Zach erleichtert zu.
»Kann ich das Bild noch einmal sehen? Das Sie ans Fens ter gehalten haben?« Sie errötete, als sei es ihr im Nachhinein peinlich, dass sie ihn ignoriert hatte, während er sich draußen so aufdringlich benahm. Zach grinste.
»Es tut mir leid. Ich war so begierig darauf, mit Ihnen zu sprechen, dass ich meine guten Manieren vergessen habe. Hier ist es. Es gehört einem Sammler, der oben in Newcastle wohnt, aber für diese Ausstellung hat er es einer Ga lerie ausgeliehen.« Er holte die Zeitschrift hervor und reichte sie ihr. Dimity starrte wie gebannt auf das Bild, strich mit den Fingern über das glänzende Papier und seufzte leise.
»Delphine«, flüsterte sie.
»Sie erinnern sich an sie?«, fragte Zach gespannt, und Dimity warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Natürlich erinnern Sie sich, Entschuldigung.«
»Sie war so ein reizendes Mädchen. Meine erste Freundin.
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