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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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kamen vom anderen Ende des Strandes auf sie zu. Die Kinder kreischten und rannten kreuz und quer um ihre Eltern herum. Sie trampelten auf dem harten Sand herum, dass ihnen das Wasser hoch auf die Kleider spritzte. Dimity konnte die Vibrationen in den eigenen Fußsohlen spüren, als sie näher kamen, und als sie nach unten schaute, zeugten ein paar verräterische Wölkchen aufgewirbelten Sandes vom Rückzug der Muscheln. Verärgert blickte sie wieder auf, und dann fiel ihr ein, dass Delphine etwas von einer Schwester gesagt hatte. Jetzt erkannte sie die Leute. Ihr Ärger schlug in Verwirrung um, und ihre Wangen brannten. Sie konnte sich nicht einfach abwenden und sich auch nirgendwo verstecken. Im selben Moment erkannte Delphine sie offenbar, denn sie rannte den anderen voraus auf sie zu. Halb erfreut, halb verlegen hob Dimity die Hand und winkte.
    »Hallo, Mitzy! Du bist es tatsächlich. Wie geht es dir? Was machst du da?«, stieß das Mädchen keuchend hervor und blieb mit einem letzten lauten Platschen vor ihr stehen. Der Rock ihres Kleides war bis eine Handbreit übers Knie durchweicht. Das Kleid war hellblau mit gelben Blümchen und einem schicken Peter-Pan-Kragen. Die Strickjacke, die Delphine darüber trug, hatte hübsche Perlenknöpfe, wie Dimity neidvoll feststellte. Sie war erleichtert, dass sie dies mal zumindest eine gute Ausrede dafür hatte, warum sie barfuß ging.
    »Ich fange gerade Scheidenmuscheln. Aber – sie leben im Sand, und wenn sie einen kommen hören, verstecken sie sich, also werde ich jetzt keine mehr fangen«, erklärte sie und hielt Delphine den Eimer hin, in dem ihre zehn hilflosen Muscheln lagen.
    »Du glaubst, sie haben dich gehört? O nein!« Als Delphine begriff, schlug sie sich eine Hand vor den Mund. »Das war unsere Schuld, nicht wahr? Letztes Mal hast du meinetwegen den Flusskrebs weggeworfen, und jetzt haben wir deine Muscheln verscheucht!« Sie machte ein bekümmertes Gesicht und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe.
    »Ist nicht schlimm«, sagte Dimity, der Delphines Betroffenheit unangenehm war. »Ich habe schon genug …«
    »Du wirst wohl zum Mittagessen zu uns kommen müssen. Das ist die einzige Lösung – und die beste noch dazu! Lass mich nur schnell fragen!«
    »O nein, ich kann nicht …«
    Doch Delphine hatte sich schon wieder ihrer Familie zugewandt und rief von Weitem: »Mitzy darf doch zum Mittagessen kommen, oder? Wir haben die Muscheln verscheucht, weil wir so laut waren!«
    Delphines Schwester erreichte sie als Erste. Sie war eini ge Jahre jünger als Delphine, zarter gebaut und dunk ler – dunklere Haut, dunkelbraunes Haar und ebensolche Augenbrauen, die ihr Gesicht sehr ernst wirken ließen. Es hatte offenbar von Natur aus einen misstrauischen Ausdruck. Die scharfen schwarzen Augen maßen Dimity rasch und schätzten sie mit der Zielsicherheit eines viel älteren Menschen ein.
    » Dich hat Daddy gezeichnet«, sagte sie. »Delphine hat gesagt, dass du noch nie Klatschreim gespielt hast. Warum nicht? Was spielt ihr denn in deiner Schule?«
    »Ich habe schon gesehen, wie andere Mädchen das spielen, ich habe nur …« Dimity zuckte mit den Schultern. Das kleine Mädchen zog verächtlich die Augenbrauen hoch.
    »Konntest du es denn nicht lernen? Es ist kinderleicht«, sagte sie.
    »Élodie, sei still«, sagte Delphine und versetzte ihrer Schwester einen mahnenden Schubs. Inzwischen hatten die Eltern der Mädchen sie erreicht, und Dimity, die sich eine noch größere Verlegenheit ersparen wollte, richtete den Blick nicht auf den Mann, sondern auf die Frau. Ihr stockte mit einem hörbaren Japsen der Atem. Die Mutter der beiden Mädchen war die schönste Frau, die sie je im Leben gesehen hatte. Noch schöner als die Frau auf dem Ovomal tine-Plakat im Ladenfenster. Noch schöner als die Schau spielerin Lupe Vélez auf der Postkarte, die einmal heimlich unter den Jungen im Ort herumgereicht worden war – während ihres kurzen Aufenthalts in Wilfs Tasche hatte Dimity einen Blick darauf erhascht. »Das ist unsere Mutter Celeste«, sagte Delphine. Sie lächelte und freute sich offensichtlich über Dimitys Reaktion.
    Celeste hatte ein ovales Gesicht mit zartem Unterkiefer und vollen, perfekt geschwungenen Lippen und schwarzes, dickes Haar, das ihr gerade über die Schultern fiel. Ihre makellose Haut hatte einen leicht goldenen Braunton, aber am fesselndsten waren ihre großen, mandelförmigen Augen. Trotz der dunklen Haut und der dichten, pechschwarzen Wimpern

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