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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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verkündete Élodie.
    »Niemand ist so schön wie Mummy«, erklärte Delphine geduldig.
    »Na, ich eines Tages schon. Das hat sie mir selbst gesagt.«
    »Na, da hast du aber großes Glück, was?« Delphine grub die Finger zwischen die Rippen ihrer Schwester, und die beiden kreischten und wanden sich, bis sie haltlos kichernd aufs grasbewachsene Ufer fielen.
    Während die Schwestern miteinander rangen, warf Dimity einen kurzen Blick zurück zum Haus, wo der Vater der beiden immer noch in der Tür stand, schlank und wachsam, und nachdenklich blaue Rauchwölkchen in die Luft paffte. Nach einer Weile stellte sie fest, dass es sie nicht mehr so störte, von ihm beobachtet zu werden, wie zu Anfang. Seine Miene war undurchschaubar, sein Gesicht ein Muster aus Flächen und Kanten, das sie nicht lesen konnte. Er zeichnet nur schöne Dinge. Sie ertappte sich dabei, dass sie sich ein wenig gerader hielt, spürte, wie sich ihr Gesicht entspannte und die Röte aus ihren Wangen wich. Schön und hübsch, zwei Wörter, die sie noch nie im Zusammenhang mit sich selbst gehört hatte, und jetzt war sie binnen Sekunden zweimal so beschrieben worden. Sie hoffte, dass es wirklich stimmte und dass all die anderen Wörter, die man ihr bisher entgegengeschleudert hatte, damit außer Kraft gesetzt waren. Bei dem Gedanken kribbelte das Blut in ihren Adern, und auf einmal war ihr nach Lächeln zumute, obwohl es dafür gar keinen Grund gab. Schließlich stand sie mit tauben Füßen im kalten Bach, und wenn sie später nach Hause ging, erwartete sie Valentinas messerscharfe Zunge.
    »Vielleicht hätte ich doch nichts dagegen. Wenn er mich wieder zeichnen will«, sagte sie schließlich. Delphine lächelte ermunternd.
    »Wirklich nicht?«
    »Nein. Er ist ein sehr guter und berühmter Künstler, oder? Das hast du mir selbst gesagt. Also sollte ich – mich wohl geehrt fühlen.«
    »Ich sage es ihm. Er wird sich sehr freuen.«
    »Du solltest überwältigt sein, dass er dich zeichnen will«, verbesserte Élodie sie. Doch Delphine verdrehte nur die Augen gen Himmel, also ignorierte Dimity die Bemerkung.
    Zwei Tage später trat das ein, wovor es Dimity am meisten gegraut hatte. Sie war gerade oben in ihrem Zimmer und zog sich fürs Frühstück um, nachdem sie das Schwein und die Hühner gefüttert, die Eier eingesammelt und die Nachttöpfe im Abort entleert hatte. Ihr Schlafzimmer hatte ein kleines Fenster nach Norden, zum Weg hin, und als sie ihr Haar am Hinterkopf zu einem Knoten hochsteckte, sah sie Charles Aubrey auf das Cottage zukommen. Er trug seine enge, dunkle Hose, ein blaues Hemd und eine Weste gegen die kühle Morgenluft. Mit hämmerndem Herzen presste Dimity die Wange ans Fenster und verrenkte sich den Nacken, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, während er schnurstracks auf die Haustür zuging. Was hatte Valentina vorhin angehabt? Hektisch versuchte Dimity sich zu erinnern – hoffentlich trug sie nicht noch ihren Morgenmantel, diesen transparenten grünen, der so gefährlich flatterte und die Umrisse ihres Körpers durchscheinen ließ. Sie überlegte, ob sie schnell hinunterlaufen sollte, um die Tür als Erste zu erreichen und ihn dann mit irgendeinem Vorwand rasch wegzuschicken. Der Küchentisch war mit toten Fröschen übersät. Sie sah das Bild plötzlich vor sich und kniff vor Entsetzen die Augen zu. Tote Frösche mit auf geschlitzten Bäuchen, die Innereien herausgeschält und in einer Schüssel gesammelt, die Kadaver mit blinden, trüben Augen und baumelnden Schwimmfüßen achtlos beiseitegeworfen. Valentina hatte zwei Zauber anzufertigen: einer sollte einen Fluch brechen, der andere ein Neugeborenes schützen. Dazu würde sie die rosig-grauen Froschgedärme in Gläser füllen, diese mit Wachs versiegeln und dann Rosmarinzweige um den Deckel wickeln, als könnte das Kraut den Tod im Inneren verbergen.
    Zu spät. Dimity hörte ihn anklopfen, und ihre Mutter öffnete beinahe augenblicklich. Dann drangen ihre Stimmen gedämpft durch die Bodendielen – seine tief und sanft wie eine summende Brise, Valentinas hart und fordernd. Dimity schlich zu ihrer Zimmertür und öffnete sie einen Spaltbreit, so leise sie konnte. Sie schob gerade noch rechtzeitig den Kopf hinaus, um zu hören, wie die Haustür zufiel und zwei Menschen ins Wohnzimmer gingen. Als auch dessen Tür geschlossen war, konnte sie kein Wort mehr von dem hören, was drinnen gesprochen wurde. Das Häuschen hatte dicke Mauern aus Naturstein, Wände, die schon die Wörter

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