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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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vieler Jahrhunderte verschluckt und nie wieder hergegeben hatten. Etwa fünf Minuten später hörte sie ihn gehen. Sie zwang sich, noch einen Moment zu warten, und stieg dann die Treppe hinunter. Ihre Furcht lastete wie ein schwerer Kranz auf ihrem Kopf.
    Valentina saß am Küchentisch, hielt in einer Hand eine Zigarette und sammelte mit der anderen kleine Stückchen Froschgedärm auf, die sie in die Schüssel schnippte.
    »So«, sagte sie betont. »Da treibst du dich also immer herum, statt mir zu helfen. Wanzt dich an die feinen Herrschaften ran.« Dimity versuchte gar nicht erst, sich zu verteidigen. Das machte Valentina nur noch wütender, noch boshafter. Vorsichtig rückte sie den anderen Stuhl vom Tisch ab und setzte sich ihrer Mutter gegenüber. Valentina trug tatsächlich den grünen Morgenmantel, aber zumindest hatte sie eine Schürze darübergebunden, fleckig und blutig. Schmutzig, aber wenigstens nicht durchsichtig. Ihr strohiges blondes Haar wurde von einem Stück Schnur zusammengehalten, die Augen waren noch mit dem grünen Lidschatten vom vorherigen Abend verschmiert. »Und ich dachte, du wärst unterwegs und würdest uns nützliche Dinge suchen. Habe mich gewundert, warum du für alles so lange brauchst. Jetzt weiß ich Bescheid!« Ihre Stimme hob sich zu einem scharfen Bellen.
    »Das habe ich doch, Ma! Ich schwöre es – nur dass Delphine mir dabei geholfen hat. Sie lernt auch alle Pflanzen kennen und hilft mir; sie ist Mr. Aubreys Tochter …«
    »Oh, ich weiß alles über sie, über den ganzen Haufen. Er hat mir alles erzählt, obwohl ich gar nichts von denen wissen will. In jeden Winkel hat er gespäht, neugierig wie eine Katze. Ich musste ihn fast aus dem Wohnzimmer drängen, weil ich sein unverschämtes Geglotze nicht mehr ertragen konnte! Er hatte hier nichts zu suchen, und du hattest ihn nicht hierher einzuladen.«
    »Das habe ich nicht, Ma! Ich schwöre es, ich habe ihm nicht gesagt, dass er herkommen soll.«
    »Ach, du würdest doch alles beschwören, was? Das ist mir jetzt klar. Von nun an kann ich nie mehr sicher sein, ob du mir die Wahrheit sagst, oder? Halt den Mund!«, fauchte sie, als Dimity etwas zu sagen versuchte. Sie saßen sich eine Minute lang schweigend gegenüber, und Dimity schaute auf ihre Hände und hörte das Blut in den Ohren rauschen, während Valentina tief und gereizt an ihrer Zigarette zog. Dann schlug sie zu, blitzschnell wie eine Schlange. Ihre Hand schoss über den Tisch und packte Dimitys Hand gelenk. Sie verdrehte ihr den Arm auf der Tischplatte, die weiche Innenseite nach oben, und hielt ihre glimmende Zigarette einen Fingerbreit über die nackte Haut.
    »Nein, Ma! Bitte nicht! Es tut mir leid – es tut mir leid!«, heulte Dimity. »Bitte! Bitte nicht!«
    »Was hast du mir sonst noch verschwiegen? Was hast du bei denen da oben getrieben?«, fragte Valentina mit argwöhnisch schmalen Augen. Ihre Brüste schwangen hinter der Schürze hin und her, als Dimity sich zu befreien versuchte. Valentinas Griff war eisern. »Hör auf, an mir herumzuzerren, sonst hacke ich dir den verdammten Arm ab!«, herrschte Valentina sie an. Dimity rührte sich nicht mehr. Ihr ganzer Körper war erschlafft vor Angst, und zugleich schlug ihr das Herz immer wilder in der Brust. Sie glaubte zwar nicht, dass ihre Mutter so weit gehen würde, aber beschworen hätte sie das nicht. Schweiß trat ihr auf die Stirn, kalt und glitschig. Ein glühendes Stückchen Tabak löste sich von der Zigarette, landete auf ihrem nackten Arm und sank qualmend in die Haut ein. Sofort bildete sich eine Brandblase, eine dicke, weiße Blase inmitten eines hellroten Krei ses. Noch immer zuckte Dimity nicht mit der Wimper, denn ihre Angst war sogar stärker als dieser grässliche Schmerz. Tränen verschleierten ihr den Blick, und sie musste mehrmals schlucken, ehe sie sprechen konnte.
    »Es war genau so, wie ich gesagt habe, Ma«, stieß sie verzweifelt hervor. »Ich habe mit dem kleinen Mädchen gespielt und ihr etwas über die Pflanzen beigebracht. Weiter nichts.« Valentina funkelte sie noch einen Moment lang an, dann ließ sie Dimitys Arm los.
    »Gespielt? Du bist kein kleines Kind mehr, Mitzy. Du hast keine Zeit zum Spielen. Also schön«, sagte sie und steckte sich die Zigarette wieder zwischen die Lippen. »Deine Lügen könnten doch noch ihr Gutes haben. Er will dich zeichnen. Hält sich für einen Künstler. Also habe ich ihm gesagt, dass er für dieses Privileg bezahlen muss.« Der Gedanke schien sie

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