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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Sag jetzt Auf Wiedersehen.« Charles reichte ihr die zwei Münzen und streifte mit den Fingerknöcheln leicht ihre Schulter.
    »Danke sehr, Mitzy«, sagte er mit einem sanften Lächeln. Celeste drückte ihr die eingewickelte Pastete in die Hände, und sie spürte die Wärme durch das dicke Papier. Dimity hätte sie ihr ins Gesicht werfen mögen. Charles das Geld vor die Füße schmeißen. Delphine einen Fluch an den Kopf schleudern. Irgendetwas baute sich in ihr auf und wurde immer stärker. Sie wusste nicht, was es war, doch sie traute diesem Gefühl nicht, also wirbelte sie herum, obwohl Delphine gerade zu ihr sprach, und floh.
    Dimity blieb sehr lange draußen. Sie saß in der tiefen Hecke, die den Pfad zu ihrem Häuschen säumte, während der Gesang der Amseln allmählich verstummte und die Sonne sich hinter dem Horizont vergrub. Eine unsichtbare Hand hatte sich um ihre Kehle geschlossen, und sie hatte einen Stein im Magen. Er bestand aus der grauenhaften Vorstellung, am nächsten Morgen in dem Wissen aufzu wachen, dass sie fort waren. Sie hatte nicht einmal gefragt, ob sie im nächsten Jahr wiederkommen würden – sie hatte es nicht gewagt, denn die Antwort hätte Nein lauten können. Sie hier zu haben, ihre Gesellschaft zu genießen, selbst die der verdrießlichen Élodie, hatte alles andere erträglicher gemacht. Dimity weinte lange, denn zurückgelassen zu werden, fühlte sich ein wenig so an, wie im Klassenzimmer ausgelacht oder mit Steinen beworfen zu werden oder im Dunkeln darauf zu warten, dass jemand sie bemerkte. Ein bisschen wie all das, aber schlimmer. Schließlich stand sie auf, ging zur Haustür und trat ein. Mit der Pastete und den gerupften Tauben konnte sie Valentina besänftigen, von den zwei Shilling ganz zu schweigen, und bekam so nur die ganz gewöhnliche Schelte. Valentina packte sie danach sogar bei den Schultern, grub die Finger in ihre Haut und musterte ihre Tochter mit schmalen Augen.
    »Du hast Federn im Haar, du Piepmatz«, sagte sie und tätschelte Dimitys Wange, eine Andeutung von Zuneigung, wie Valentina sie nur sehr selten zeigte. Irgendwie machte das alles nur schlimmer, und als Dimity sich auf die Suche nach einem Kamm machte, verschwamm ihr wieder alles vor den Augen, weil Tränen darin brannten.
    Zach erwachte am Morgen nach seinem bierseligen Mittag essen mit dem Gedanken an Hannah – an ihr lebhaftes, impulsives Mienenspiel und ihr plötzlich so verschlossenes Gesicht, als er sich nach den Geräuschen im Obergeschoss von Dimity Hatchers Häuschen erkundigt hatte. Er trank rasch nacheinander zwei Tassen Kaffee und beschloss, sie beim Wort zu nehmen und sich von ihr den Hof zeigen zu lassen. Spontan schnappte er sich im Gehen noch seine Maltasche. Soviel Spaß es ihm auch gemacht hatte, den Künstlerbedarf einzukaufen – bisher hatte er gezögert, die Sachen auch zu benutzen. In der Nacht hatte es heftig geregnet, so heftig, dass ihn das Trommeln an der Fensterscheibe geweckt hatte. An Zachs Schuhen klebten schon bald Matschklumpen, nachdem er ein Stück landeinwärts gegangen war, statt direkt auf die Southern Farm zuzusteuern. Die kühle Brise in Gesicht und Lunge fühlte sich gut an, sie klärte seinen Kopf, und seine schweren Glieder wurden ein wenig leichter.
    Er kletterte einen steilen Hügel hinauf bis zu dem kleinen Wäldchen auf der Kuppe. Dort drehte er sich um und wurde mit einem weiten, mitreißenden Blick auf die Küste belohnt, die sich in beide Richtungen kilometerweit unter ihm erstreckte wie eine Patchworkdecke in Grün, Gelb und Grau, scharf begrenzt von der kontrastfarbenen See. Blacknowle unter ihm bestand aus Puppenhäuschen, The Watch war ein weißer Fleck, die Southern Farm in einer Senke verborgen. Er setzte sich auf den Stamm einer umgestürzten Buche und holte seinen Skizzenblock hervor. Zeichne nur einen Strich. Fang einfach an. Das Zeichnen hatte früher einmal seinen Geist geleert, alles verbannt, was lärmend seine Aufmerksamkeit forderte. Es hatte ihm einen klaren Blick nach vorn eröffnet und ihm die Gewissheit seines Talents gegeben, Vertrauen in das, was er konnte. Seine Lehrer am Goldsmiths hatten ihm immer geraten, mehr zu zeichnen und zu malen, seine Fähigkeiten zu nutzen, statt dagegen zu rebellieren. Damals war er zu sehr auf Außenwirkung bedacht gewesen, um ihren Rat zu befolgen.
    Zach zog einen Strich – den Horizont. Er hielt inne. Wie konnte er so etwas falsch machen? Der Horizont war eine Linie, eine gerade Linie, hell

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