Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
Sägespänen, Rinde und Asseln auf dem Boden um sich ausgebreitet, und als Zach voll Entsetzen zur Decke hochschaute, war sie mit schwärzlichen Spinnennetzen dekoriert wie mit makabren Girlanden. Um die beiden Wasserhähne des Toilettenwasch beckens klebten die halb aufgelösten, rissigen Überreste meh rerer Seifenstücke. Aber das Wasser war heiß, und er schaffte es, mit den Fingernägeln ein wenig Seife von den Häufchen zu kratzen. Rasch wusch er sich die Hände und blickte dann den Hausflur entlang zum nächsten Raum.
Die Küche stank genauso nach Schaf und Hund wie der Jeep. Eine getigerte Katze schlief auf dem großen frei stehenden Herd. Jede waagrechte Fläche war mit Tellern, Töpfen und Verpackungen bedeckt. Neben dem Wasserkocher stand eine offene Milchflasche mit einer gelblichen Kruste um die Öffnung, an der sich gerade eine Stubenfliege gütlich tat. Auf dem riesigen Küchentisch aus Eichenholz stapelten sich Kontoauszüge, Unterlagen, Wirtschaftsbücher und alte Zei tungen. Zach ließ den Blick über das schmutzige Geschirr schweifen und begriff erst nach ein paar Sekunden, was er suchte und auch tatsächlich entdeckte: paarweise Dinge. Zwei Weingläser mit violett eingetrockneten Resten darin, zwei Kaffeebecher, zwei Teller mit Knochen, die von Schweinekoteletts stammen konnten. Hinweise darauf, dass Ilir mit Hannah zusammenlebte. Plötzlich knallte etwas, und Schritte kamen die Treppe am anderen Ende des Raumes herunter. Zachs Herz machte einen Satz, und er fuhr herum und lief, so schnell es ging, durch den Flur und hinaus auf den Hof.
Hannah betrachtete etwas, das auf der Motorhaube des Jeeps lag, und die Art, wie sie zusammenzuckte, erinnerte Zach an seine eigene Reaktion wenige Augenblicke zuvor. Sie hatte in seinem Skizzenbuch geblättert, das sie nun mit leicht trotziger Miene und gerecktem Kinn wieder schloss, als weigerte sie sich, verlegen zu sein, weil er sie ertappt hatte.
»Hast du alles gefunden?«, fragte sie. Zach verschränkte lächelnd die Arme und warf einen Blick auf sein Skizzenbuch.
»Ja, danke. Hübsches Haus.«
»Danke. Ich bin in diesem Haus aufgewachsen.«
»Du musst ein unglaublich starkes Immunsystem haben«, bemerkte er und hatte Mühe, ernst zu bleiben.
»Pass bloß auf. Ich habe dich gewarnt.« Hannah ballte die Hände zu Fäusten, doch ihre Miene wirkte eher be lustigt. Sie wies auf sein Skizzenbuch. »Ich wollte nicht herumschnüffeln. Aber ehe du deine Tasche im Auto vergisst, habe ich sie … Na ja, du weißt schon: die Neugier unter Malerkollegen … Aber keine Sorge, ich habe nicht das Gefühl, tiefe Einblicke in deine Seele gewonnen zu haben«, erklärte sie. Er dachte an die einzige Zeichnung, die er bis her begonnen hatte – seinen missglückten Versuch vom Vor mittag.
»Ich wollte die Aussicht von dem Hügel da zeichnen«, sagte er.
»Und weiter bist du nicht gekommen?«
»Ich fürchte, mir ist dieser – Funke abhandengekommen«, sagte er. Sie musterte ihn prüfend, die Augen gegen die plötzlich hervorbrechende Sonne leicht zusammengekniffen.
»Tatsächlich?«, murmelte sie beinahe mitfühlend. Zach ließ sich nicht aus der Fassung bringen, doch er wusste nicht, wie er das kurz und bündig erklären sollte. »Also, ich finde ja, dass es hilft, wenn man sich daran erinnert, warum man etwas tut«, fuhr sie fort. »Warum bist du zum Beispiel auf diesen Hügel gestiegen und hast versucht, die Aussicht zu zeichnen?«
»Äh … Das weiß ich eigentlich nicht. Weil sie schön war?«
»War sie das wirklich? Hast du beschlossen, sie zu zeichnen, weil sie schön war, oder weil du dachtest, dass sie schön sein sollte? Weil du meintest, genau so etwas solltest du zeichnen wollen?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Stell dir nächstes Mal diese Fragen. Die Antwort könnte dich überraschen.«
»Ich glaube, ich weiß gar nicht mehr, was ich zeichnen will.«
»Dann denk vielleicht auch mal über das Warum nach. Oder für wen du etwas zeichnest. Das könnte helfen«, schlug sie vor.
»Warum bist du neulich einfach davongelaufen?«, fragte er und überraschte sich damit selbst. Hannah gab ihm mit zurückhaltendem Lächeln sein Skizzenbuch zurück.
»Ich bin nicht davongelaufen.«
»Ach, komm schon. Natürlich bist du davongelaufen. Als ich danach gefragt habe, ob da noch jemand in The Watch wohnt.«
»Nein, nein, ich musste nur los, weiter nichts. Ehrlich. Niemand sonst wohnt da oben. Das weiß ich genau.«
»Warst du denn schon mal im
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