Das verborgene Netz
einzufangen?
Sie rieb sich die Schläfen. Das alles war, dachte sie, für den Moment nicht wichtig. Entscheidend war, wo Steinhoff und der Unbekannte sich jetzt aufhielten. In Freiburg, in Esther Grafs Nähe?
Der eine, um ihr etwas anzutun, der andere, um sie erneut zu schützen?
Hans Peter Steinhoff war nicht nach Hause zurückgekehrt. Kollegen der Hamburger Kripo, die Louise telefonisch um Amtshilfe gebeten hatte, waren nach Altona gefahren. Seine Frau hatte geöffnet. Die Geschäfte in Berlin zögen sich hin, vor Ende der Woche werde er nicht heimkommen. Sie nannte ein Hotel in Kreuzberg, die Kollegen riefen an. Steinhoff hatte ursprünglich bis Sonntag gebucht, war jedoch seit Samstagnachmittag nicht mehr im Hotel gewesen. Am Sonntagabend hatte er seine Sachen von einem Taxifahrer abholen und die Rechnung begleichen lassen.
Die Suche nach dem Fahrer dauerte zweieinhalb Stunden, dann telefonierten die Kollegen mit ihm. Das Telefonat dauerte eine weitere halbe Stunde – der Fahrer stammte aus Ghana, sprach kaum Deutsch und war verstört. Die deutsche Polizei! Ein Fahrgast half. Am Ende des Gesprächs kam heraus, was Louise bereits vermutet hatte: Steinhoff hatte sich seine Sachen ins Martin-Luther-Krankenhaus bringen lassen.
Sie informierte Reinhard Graeve.
Die interne Fahndung nach dem unbekannten Tatverdächtigen lief bereits. Nun kam auch Steinhoffs Name auf die Liste. Der Verdacht, dass er möglicherweise hinter Esther Graf her war, reichte dafür nicht aus. Doch ein anderes Argument überzeugte Graeve: Wo Steinhoff war, war eventuell auch dessen Angreifer. Fand man den einen, bekam man vielleicht den anderen zu fassen.
Und Steinhoff war sicherlich leichter aufzuspüren. So, wie er in Berlin zugerichtet worden war, musste er in einer friedlichen Stadt wie Freiburg auffallen.
»Und Stuttgart? Haben Sie da was erreicht?«
Graeve stieß ein melancholisches Lachen aus.
Er hatte, berichtete er, mit Eberhardt Rohwes Chef telefoniert und den Namen eines Abteilungsleiters des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz erhalten. Er hatte mit dessen Vorzimmerdame telefoniert und den Namen eines Abteilungsleiters des baden-württembergischen Landesamtes erhalten. Er hatte mit einer weiteren Vorzimmerdame telefoniert – die hohen Herren tagten, die Bitte um Rückruf werde ausgerichtet. Bislang war er nicht erfolgt.
»Glück für uns«, sagte Louise. »Welche Abteilung?«
»Vier.«
Sie überlegte. »Spionageabwehr und der ganze andere Kram, oder?«
Graeve lachte. Der andere Kram war Geheim- und Sabotageschutz, Personenüberprüfung, Scientology.
»Immerhin, ein kleiner Schritt voran«, sagte er.
»Aber in welche Richtung?«
»Bis man uns das sagt, halten Sie sich bitte zurück.«
»Sie wissen, dass ich darin nicht gut bin.«
Graeve seufzte. »Wer wüsste das nicht?«
Am Nachmittag kam aus Berlin endlich der eingescannte Bericht der Vernehmung Hans Peter Steinhoffs durch KOK Eberhardt Rohwe. Er enthielt nichts Neues, abgesehen von einer vagen Täterbeschreibung: etwa eins fünfundachtzig groß, zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, außergewöhnlich schnell und kräftig, dichtes, stoppelkurzes dunkles Haar, Dreitagebart.
Mit der Täterbeschreibung und einem zwei Jahre alten Foto des einundfünfzigjährigen Steinhoff, das sie im Internet
gefunden hatte, ging sie zu den Kollegen vom Fahndungsdezernat. Die Daten wurden in den Computer eingegeben, genauso die Anordnung, nicht zuzugreifen, falls man auf einen der beiden Gesuchten stieß. Nur dranbleiben und sofort melden.
Dann besorgte sie sich zwei Fahnder für die Beobachtung von Esther Graf. Einen kannte sie aus dem Sommer 2003 – Kilian, Ende zwanzig, auf coole Weise nachlässig gekleidet, halblange Haare, die wilde neue Kriminalergeneration. Den anderen sah sie zum ersten Mal, Marc, etwas jünger als Kilian, stilistisch eine Kopie. Zwei, die man sich eher mit einem Surfbrett unter dem Arm vorstellen konnte.
»Na dann los«, sagte Kilian und nahm die Lederjacke von der Stuhllehne. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass er atemberaubend schöne, regelmäßige Augenbrauen hatte. Richard Landens von einer grauen Stelle durchbrochene Braue kam ihr in den Sinn. In diese Stelle hatte sie sich verliebt, bevor sie sich in den restlichen Mann verliebt hatte.
»Was denn?«, fragte Kilian mit einem entspannten Lächeln.
Sie deutete auf seine Brauen. »Zupfst du sie?«
Das Lächeln wurde breiter. »Lass mir meine Geheimnisse.«
»Dafür verrate ich
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