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Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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die Tür, ohne zu warten.
    Ein großer Raum, spartanisch eingerichtet mit Mobiliar in gedeckten Farben – ein Schreibtisch, niedrige Büroschränke, eine Sitzecke, über der zwei abstrakte Kunstwerke hingen, die einzigen Farbsprenkel im ganzen Zimmer. Links eine orange Fläche mit Strichen, rechts eine blaue mit Strichen. Louise versuchte noch zu begreifen, was sie darstellten, als sie bemerkte, dass Bermanns Hand zum Waffenholster flog.
    Erschrocken folgte sie seinem Blick.
    Zwischen Schreibtisch und Fensterfront stand ein Arbeitssessel, der mit der Rückenlehne zu ihnen gedreht war. Sie sah die obere Hälfte eines reglosen Kopfes, lang hängende Arme in hellgrauem Anzugstoff, eine schlaffe Hand. Ihr Herzschlag beschleunigte, das Summen in ihrem Kopf wurde schrill.
    Sie zog die Waffe.
    Während Bermann sie nach links wies und sich nach rechts wandte, dachte sie verwirrt, dass Kleinert vor nicht einmal zwanzig Minuten telefonisch von ihrer Anwesenheit informiert worden war, zu diesem Zeitpunkt gelebt hatte, und seit gut einer Viertelstunde hatten sie draußen gewartet, keine zehn Meter von seinem Büro entfernt …
    An der linken Wand eine Tür, rechts stand Bermann auf Höhe einer weiteren. Er drückte sie langsam auf, sie erkannte einen Fliesenboden, eine Kachelwand – ein kleines Bad. Er wandte sich ihr zu, deutete auf die Tür, der sie sich langsam näherte. Sie nickte. Ihr Blick flog zurück zu dem Mann in dem Stuhl, jetzt sah sie ein wenig mehr, die linke
Schulter, das aufgestellte linke Bein, ein schwarzes Kabel am Arm.
    Sie steckte die Heckler & Koch ins Holster, tippte sich mit einem Finger ans Ohr.
    »Was?«, sagte Bermann.
    Im selben Moment flog der Stuhl herum, und sie blickte in die erschrockenen Augen aus der GoSolar-Broschüre.
     
    Gerhard Kleinert trank ein Glas Wasser, dann schien er den Schrecken überwunden zu haben. Entschuldigend sagte er, er habe sich noch ein wenig von einer anstrengenden Vorstandssitzung entspannen wollen, bevor er sie geholt hätte. Für Momente wirkte er in seiner Verlegenheit wie ein Firmling, den die Eltern in einen zu großen Anzug gezwungen hatten.
    Er war aufgestanden, sie hatten einander die Hände geschüttelt, er hatte sich wieder gesetzt. Als er jetzt schwieg, hörte Louise wie aus weiter Ferne Klaviermusik, irgendetwas Klassisches, gleichmäßig und kühl wie Bach. Kleinert fingerte an einem schwarzen iPod herum, die Musik brach ab.
    Sehnsüchtig sah sie auf die Couch unter den Gemälden, doch Kleinert machte keine Anstalten, sie zur Sitzecke zu bitten. Also blieben sie, wo sie standen, Bermann rechts von ihm, Louise links, was praktisch war, wie sie fand, da konnten sie ihn ein bisschen in die Zange nehmen.
    Mit dem Foto in der Broschüre hatte Kleinert nicht viel Ähnlichkeit. Selbst nachdem die Lebensgeister zurückgekehrt waren, lag in seinem Gesicht keinerlei Frische. Die wächsern wirkenden Wangen mündeten an der Nase in tiefe Furchen, die Haut war unrein wie die eines Teenagers. Seine Augen strahlten weder souverän noch zuversichtlich,
sondern irrten herum wie die eines Menschen, der viel zu wenig schlief.
    »Alles wieder gut?«, fragte sie.
    »Ja, danke.« Er fuhr sich mit einer Hand über Stirn, Nase, Mund. »Kriminalpolizei Freiburg, habe ich das richtig verstanden?«
    »Ja.«
    Er nickte nachdenklich. Die wulstigen Lippen waren nicht ganz geschlossen, die oberen Schneidezähne saßen auf der Unterlippe. Anatomische Eigenheiten, die ihm in der Schule vermutlich viel Spott beschert hatten. Schließlich sagte er: »Und warum …?« Verständnislos blickte er von ihr zu Bermann.
    Er war kein guter Schauspieler.
    Louise bedeutete Bermann, die Erklärung zu übernehmen. Sie ahnte bereits, was sie von Kleinert zu hören bekommen würden: nicht die Wahrheit, oder nur einen Teil der Wahrheit, oder eine juristisch unproblematische, informationsleere Variante der Wahrheit. Sie hatte keine Lust mehr auf solche Gespräche. Menschen schlitzten sich die Pulsadern auf, wurden zusammengeschlagen, entführt, hatten schmerzhafte Töne und Gewichte im Kopf, und dann musste man sich mit Männern wie Henning Ziller und Gerhard Kleinert herumschlagen, die eigene Interessen verfolgten und sich wichtig gaben oder unwissend.
    Bermann erklärte, dass vergangene Nacht zwei Kriminalbeamte mit Waffengewalt entführt worden seien, und zwar aus der Wohnung einer GoSolar-Angestellten. Louise bewunderte ihn für seine Ruhe in solchen Situationen. Immer der vorbildliche

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