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Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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spioniert, sondern geholfen hatte.
    Ihre Blicke begegneten sich. Esther hielt ein paar Sekunden lang stand, dann schlug sie die Augen nieder, und Louise begriff plötzlich, dass das Konstrukt längst zusammengebrochen war. Esther wusste, dass sie in eine Falle getappt war.
    Deshalb der Suizidversuch.
     
    Im offenen Bereich der Station hatte eine Frau angefangen zu weinen, eine Männerstimme murmelte tröstende Worte. Louise war aufgestanden und ging in dem kleinen
Kunststoffrechteck auf und ab. Philipp Schulz in Berlin, anscheinend beim Verfassungsschutz – ein furchtbarer Gedanke. Dann wäre nicht ein Spitzel ermordet worden, was schlimm genug gewesen wäre, sondern ein Kollege. Und wie sehr hätte sie sich getäuscht! Es musste andere plausible Möglichkeiten gegeben.
    Doch so angestrengt sie auch nachdachte, sie fand keine. Dass Schulz in Berlin lediglich Esthers Loyalität der erfundenen »Task Force« gegenüber hatte testen oder herausfinden wollen, ob der Verfassungsschutz an sie herangetreten war, hielt sie für wenig logisch. Weshalb hätte er Esther in Panik versetzen sollen? Und die Gruppe hatte sie wochen-, vielleicht monatelang überwacht, musste wissen, ob sie Kontakt zum LfV gehabt hatte.
    Sie setzte sich wieder. »Hat Schulz Sie zu der Schlägerei im Hotel befragt?«
    »Ja.« Er hatte sich erkundigt, was sie mitbekommen habe. Ob sie das Opfer oder den Täter gesehen habe. Den Mann aus Zimmer 35 beschreiben könne.
    Louise schwieg. In Berlin, dachte sie, mochte ja vieles möglich sein – doch dass Philipp Schulz sich Esther am Abend gezeigt hatte, wenn er am Nachmittag im Hotel Hans Peter Steinhoff beinahe getötet hatte, erschien ihr kaum denkbar.
    »Haben Sie den Mann, der Sie in Ihrem Haus verbunden hat, gesehen?«
    »Nur verschwommen. Ich war … nicht richtig wach.«
    »Hat er sein Gesicht vor Ihnen versteckt? Eine Maske getragen?«
    »Nein.«
    »Könnten Sie ihn identifizieren?«
    »Ich glaube schon. Wenn er vor mir stehen würde.«
    Louise lehnte sich zurück. Irritiert nahm sie wahr, das sie ein Gefühl der Erleichterung durchströmte. Esthers Schutzengel war nicht identisch mit Schulz. Er lebte.
     
    Irgendwann später schrak sie hoch. Zwanzig vor zwölf, sie war für ein paar Minuten eingenickt. Auch Esther schlief. Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht, hielt noch immer das Glas in der Hand. Nur der leise Alarmton des Überwachungsmonitors war zu hören und, wie ungleichmäßige, ferne Echos, die der Geräte aus dem offenen Bereich der Station.
    Sie streckte sich. Der unbequeme Metallstuhl, der nur aus Kanten und harten Flächen bestand, hatte sich an mehreren Stellen schmerzhaft in ihr Fleisch gedrückt.
    Als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm, hielt sie inne. Sie drehte den Kopf – und schrak zusammen. Auf der anderen Seite des Trennvorhangs, kaum vier Meter entfernt, stand eine Gestalt. Ein Mann, der zu ihnen hereinblickte.
    Wieder war sie gefunden worden, während sie schlief.
    Zögernd erhob sie sich, um dem Mann zu signalisieren, dass sie ihn bemerkt hatte und nichts unternehmen würde. Sekundenlang standen sie reglos da, getrennt nur von dem Kunststoffvorhang. Weil der Mann weder Anstalten machte hereinzukommen noch weiterzugehen, war sie davon überzeugt, dass sie sich nicht täuschte – Esthers Schutzengel war zu ihrem Rendezvous erschienen.
    Schließlich wich er langsam zurück, drehte sich um und ging lautlos davon.
    Sie warf einen Blick auf Esther, vergewisserte sich, dass die Waffe im Gürtelholster steckte, und folgte ihm.

17
    ALS SIE IN DEN OFFENEN BEREICH der Station hinaustrat, war der Mann nicht mehr zu sehen. Sie wandte sich nach links, in Richtung der zweiten Schleuse, dorthin war er verschwunden. Weitere, durch Vorhänge abgetrennte Betten, dann Besuchertoiletten, eine verschlossene Putzkammer, eine Handvoll Personalräume, die offen, aber leer waren. Sie rechnete nicht damit, hier auf ihn zu stoßen. Er war vorsichtig und erfahren, würde sie an einem für ihn sicheren Ort erwarten. Diesen Ort musste sie finden.
    Schließlich stand sie vor der Schleuse. Sie öffnete sie, hielt die Tür mit einer Hand auf. Wie auf der anderen Seite der Station saßen zwei Streifenkollegen auf Stühlen an der Wand. Sie kannte keinen von beiden.
    »Louise Bonì vom D 11 .«
    Sie erhoben sich. Einer sagte: »Marić, und das ist Heller, Revier-Nord.«
    In den vergangenen zwanzig Minuten hatte niemand die Station betreten oder verlassen, abgesehen von einer Nonne, die zweimal

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