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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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schwarzen Balken. Ohne Leiche. Auf dem Steintisch darunter eine schmale weiße Decke, schmucklos wie ein Bettbezug. Sogar in der Turnhalle hatte unsere Kirche besser ausgesehen.
    Vor den Stufen zum Altar stand der mit einem schlichten schwarzen Tuch bedeckte Sarg. Keine Kränze. Die mußten vor der Kirchentüre bleiben. Wenigstens brannte eine Kerze. Die hatte Böcker samt Ständer aus dem Leichenhäuschen mitgenommen, die Tante gab ihm später dafür fünf Mark extra.
    Die Sterbeglocke verstummte. Im schwarzen Talar, um den Hals einen weißen Streifen, von dem zwei weiße Bänder herabhingen, trat der evangelische Pfarrer vor den Altar. Da ging die
    Tür vom Hauptportal noch einmal auf, den Gang entlang schmatzten Kreppsohlen. Pastor Kreuzkamp. Durch die schütteren Reihen der katholisch Trauernden ging ein Ruck, als ihr Oberhaupt sich zu dem halben Dutzend Männern setzte. Die Großmutter nickte ermutigend.
    Der Pfarrer hielt eine kurze Ansprache. Er hatte Ferdi nie gesehen. Seine evangelischen Gebete waren mir fremd. Wir saßen stumm. Lasset uns beten, sagte er schließlich. Kreuzkamp stand auf. Wir standen auf. >Vater unser<, begann der Pfarrer unterm kahlen Kreuz, >der du bist im Himmels betete der fremde Pfarrer, niemand sprach mit, bis die Stimme, die jeder so gut wie die Kreppsohlen kannte, die Führung übernahm und all seine Schäfchen ihr folgten. Die goldgefaßten Brillengläser des evangelischen Pfarrers beschlugen ein wenig, und um seinen feinen Mund spielte ein Lächeln, das er auch nicht verlor, als ihn die Trauergemeinde am Ende überstimmte. >Denn dein ist die Kraft und die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit< schloß der evangelische Pfarrer, während wir der Erlösung vom Übel unter Führung der Großmutter unbeirrt das übliche >Gegrüßet seist du, Maria< folgen ließen. Wäre nicht Pastor Kreuzkamp dem bedrängten Kollegen zu Hilfe gekommen, wir hätten mindestens noch ein Gesetz aus dem schmerzensreichen Rosenkranz angehängt. >Herr, gib ihm die ewige Rühes donnerte der Pastor. >Und das ewige Licht leuchte ihm<, antwortete die Großmutterschar, froh, daß am Ende der richtige liebe Gott das letzte Wort behielt.
    Amen, sagten sie alle drei, der evangelische Pfarrer, der katholische Pastor und die Großmutter. Wie aus einem Munde: Amen. In diesem >Amen< vermischten sich ihre Stimmen, die gebildete trockene Stimme des evangelischen Gelehrten, der rauschende Baß des fröhlichen katholischen Sünders und die tapfere Rechtschaffenheit der Dienerin. Lessing hatte recht. Ich griff nach meinen Blumen.
    Beide Geistliche schritten nun gemeinsam hinter dem Sarg zum Kirchhof. Ich ging neben der Großmutter, die ihren Regenschirm jetzt friedfertig über den Arm gehängt hatte.
    Die Kränze wurden aufgeladen. Wenige nur, anders als beim Großvater, wo man die Gebinde hatte doppelt und dreifach legen müssen. Die Sterbeglocke setzte ein. Der kurze Weg zum evangelischen Kirchhof führte an herbstlichen Gärten vorbei, aus den Beeten roch es nach Porree und Kohl wie in den Feldern am Rhein, Hanni schluchzte von Zeit zu Zeit in ihr Taschentuch, dann griffen die Mütter sie fester unter die Ellenbogen. Ich hielt meinen Strauß umklammert. Ah, Stolzer Heinrich, hatte Ferdi gesagt, als er die wuchernden Stauden in unserem Garten beim Mist entdeckt hatte, Stolzer Heinrich, mit doppelt gerolltem r: wie prächtig sahen die Blumen - Mistblumen nannten wir sie - mit diesem Namen aus. Jetzt waren die mannshohen gelben Ruten fast verwelkt.
    Rechts von Ferdis letzter Ruhestätte blühten noch die Begonien, links wuchs Gras, Platz für Einzelgräber bis an die Hecke, dahinter Kohl und Kartoffeln. Prüfend stupste der Vater die Schuhspitze in den Erdhaufen neben dem ausgehobenen Rechteck, guter, lockerer Boden. Kreuzkamp ließ Ferdi noch einmal, wie wir ihn alle gekannt hatten, vor uns lebendig werden. Nun stehe Ferdi vor Gott, und der sei nicht evangelisch und nicht katholisch, sondern einfach unser aller Schöpfer. Beim gemeinsamen >Vater unser< ließ der evangelische Pfarrer die >Macht und die Herrlichkeit weg, und die Großmutter verzichtete auf ihr begrüßet seist du, Maria<. Amen.
    Der evangelische Pfarrer stieß die Handschaufel in den Erdhaufen, die ersten Placken polterten auf den Sarg, den die Männer während des Gebets hinabgelassen hatten.
    Hanni löste sich für einen Augenblick aus den Armen von Mutter und Tante und ließ wankend einen Strauß weißer Rosen, mit Myrte bekränzt, in die Grube fallen.

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